Billy Talent - Billy Talent II

Atlantic / Warner
VÖ: 23.06.2006
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hans Dampf

Bemerkenswert, was Billy Talent geschafft haben. Aus dem Nichts sind sie zu einer der namhaftesten Bands des heutigen Alternative Rock geworden. Bemerkenswert, wie schnell sie es geschafft haben. Durch ein einziges Album. Bemerkenswert, womit sie es geschafft haben. Mit knackigem Rock, den nicht gerade Originalität auszeichnet, sondern andere Qualitäten. Energie! Druck! Schmackes! So wußte die Welt im Handumdrehen, daß sich hinter den Kanadiern mit dem seltsamen Namen keineswegs ein Solokünstler verbirgt. Und daß der vermeintliche Billy Talent in Wirklichkeit ein Hans Dampf ist. In allen Gassen.

Auf dem umjubelten Debüt "Billy Talent" hatte man das Gefühl, das Gaspedal habe sich hartnäckigst im Unterboden verhakt. Als ob das Album immer weiter unaufhaltsam beschleunigen würde. Als ob die Herren deswegen in den Fußraum krabbeln, um das Problemchen zu beheben. Und in der Folge gegen alle möglichen Hindernisse rasseln. Boing, boing, boing. Das wirbelte das Gehirn durch wie ein Schlag gegen die Wand, wie ein Erdbeben in der Schwerelosigkeit. Wo war nochmal oben?

Auf "Billy Talent II" nun ist etwas neu: Die Kanadier haben die Bremse gefunden. Und treten sie des öfteren. Nicht nur im mediokren "The navy song", der dadurch immerhin eine gewisse Dynamik erreicht. Sondern auch in "Pins and needles". Der Song beginnt derart schmalzig, daß sich das Fett aus der geöffneten Chipstüte vereinigt und selbständig in die Boxen zum Artverwandten strömt. Und geht weiter mit Zwiegesang in der Tradition der berüchtigten System-Of-A-Down-Balladen, ohne deren Klasse zu erreichen. "Surrender" löst eine ähnliche Aufgabe weitaus besser, beginnt als dahintröpfelnder Jammerlappen, der ordentlich ausgewrungen wird. Und nach zwei Minuten erinnert sich Ben Kowalewicz, daß große Jungs nicht weinen, und haut auf die Pauke. Die Fans werden den Song lieben. Zurecht.

Das neue Faible für leise Töne täuscht jedoch: Billy Talent sind keinesfalls zur Wischiwaschi-Band geworden, sondern unter der Oberfläche doppelbödig wie nie. Wer beispielsweise den Lyrics der packenden ersten Single "Devil in a midnight mass" nur beiläufig Gehör schenkt, dessen Ohrwurm skandiert partylaunig: "Friday night for the rest of my life." Neinnein, so heißt es nicht! Der Song offenbart beim Aufklappen ähnlich düstere Bilder wie das Booklet: "Silent night for the rest of my life", lautet die Zeile richtig. Und beim gänzlich unlaunigen, tatsächlichen Thema des Songs, dem Skandal um einen pädophilen Priester in Boston, bleibt einem die Hookline im Halse stecken.

"Fallen leaves" macht ähnlich viel Krach wie fallendes Herbstlaub, dafür rast "Where is the line?" wieder die Melodietonleiter rauf und runter und wischt sich erst allmählich den Schweiß ab. "Perfect world" beginnt mit einer Gitarrenfigur in der Tradition von "Boys don't cry" (The Cure) und macht dann im Refrain alles richtig. Der braucht kaum länger als fünfzehn Sekunden. Bis er vorbei ist, und bis er im Hirn klebt: "In a perfect world, her face would not exist / In a perfect world, a broken heart is fixed / In a perfect world, I'd see no therapist / In a perfect world, this wouldn't make me sick." Versteht sich von selbst, daß das "sick" mit gefühlten zehn Ausrufezeichen gekrächzt wird. Als ob Ben Kowalewicz eine Dampframme in den Allerwertesten gejagt bekäme. Ja, das ist unappetitlich, aber es klingt wirklich so.

Das finale "Burn the evidence" bricht das gegenwärtige Bandmotto auf ein paar Sätze runter: "Hit the brakes, hit the glass / Time to shake the hands of fate." Und: "Ever feel like you've been cheated / Following what they believe?" Soll heißen: Ein bißchen leiser sind sie geworden, aber nur ein bißchen. Und trotzdem kein bißchen müde. Sie rütteln immer noch kräftig am Schlafittchen, haben was zu sagen und sagen es. Wenn's sein muß auch mal lauter. Und wenn nicht, dann weniger laut. Ja, vielleicht ist Album Numero zwei doch ein weitgehender Aufguß von "Billy Talent", und vielleicht ist das Nomen des einfallslosen Titels hier Omen. Aber: Auch der neue Wurf ist ein himmelschreiendes Stückchen Gebrauchsmusik, das in den einschlägigen Jahrespolls sicher wieder weit vorne liegen wird und genau dorthin geht, wo es weh tut. Das flutscht, das knarzt, das kracht, das schnackelt! Simpel. Aber wieder ungeheuer wirkungsvoll. Und wirkungsvoll ungeheuerlich.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Devil in a midnight mass
  • Red flag
  • Where is the line?
  • Surrender
  • Perfect world

Tracklist

  1. Devil in a midnight mass
  2. Red flag
  3. This suffering
  4. Worker bees
  5. Pins and needles
  6. Fallen leaves
  7. Where is the line?
  8. Covered in cowardice
  9. Surrender
  10. The navy song
  11. Perfect world
  12. Sympathy
  13. Burn the evidence
Gesamtspielzeit: 47:07 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2018-07-29 01:32:34

Geiler Opener auch.

Mister X

2018-07-29 01:29:01

Bin wohl fuer die Wiederbelebung aelterer Alben zustaendig. Besonders die Gitarre fetzt hier.

BillyBoy

2013-02-14 21:28:09

Billy Talent mit 13 Jahren zu hören ist OK. Wenn du allerdings älter bist, würde ich mir Sorgen machen.

julian888

2013-02-14 20:34:12

8/10 Punkte Das erste ist besser es gibt kein highlight

Dr. Detect

2012-10-13 01:25:44

Wenn das erste Album bereits so'n Kracher ist, sind die Erwartungen für das 2. Album natürlich riesig. Gab auch andere Bands mit dem Problem (vor allem die ganzen Indie-Hypes, Bloc Party, Franz Ferdinand, Arctic Monkeys, etc.)

Billy Talent hat sich mit dem 2. Album souverän aus der Affäre gezogen. 7/10 geht fit, das Album hat ein paar schwächere Songs, aber auch ganz schön große Hits. (Red Flag, This Suffering (Übertrack!), Fallen Leaves)

Gehe bei Plattentests mit den Bewertungen fast konform, würde nur BT I 9/10 statt 8 und BT III 4/10 anstatt 5/10 geben.

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