
Victory At Sea - All your things are gone
Gern Blandsten / Al!veVÖ: 26.05.2006
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Es gibt natürlich Bands, denen alles von alleine zufliegt. Sie müssen nur ein wenig vor sich herkritzeln, sich nicht mal richtig krumm machen für ihren Erfolg. Man hat beinahe das Gefühl, daß sie überhaupt nichts falsch machen können. Victory At Sea aus Boston sind aber keine dieser Bands. Sie gehören zur größeren, schwierigeren Abteilung: den Gruppen, die nichts falsch machen dürfen. Weil sonst vielleicht bald das Licht nicht mehr angeht, das Wasser kalt bleibt oder das Schloß an der Wohnungstür ausgewechselt wird. Ohne daß ihnen jemand Bescheid sagt, natürlich. Jede Platte ist ein Kampf, jedes Mal geht es auch ein bißchen ums eigene Überleben. Es ist ja kein Wunder, daß so was seine Spuren hinterläßt.
Drücken wir das mal vorsichtig aus: Mona Elliott, Sängerin und Gitarristin, sieht aus, als hätte sie vor Victory At Sea 20 Jahre lang als Fernfahrerin gearbeitet und dabei ein paar Mal zu oft in ihrer Truckerkabine schlafen müssen. Verschmiertes Makeup, verkorkste Tattoos, todtraurige Augen. Und dann erst ihre Stimme. Resignierend zunächst, beinahe gleichgültig, im nächsten Moment aber doch wieder aufbrausend bis zur Tobsucht. Wenn irgendwo eine Bar aufmacht, ist diese Frau die letzte, die nach Hause geht. Und wenn sie dann noch einen Stift findet, schreibt sie die Leiden und Lieder ihrer Band auf. Anders würde es ja doch nicht funktionieren.
Die Musik dazu ist Indierock, natürlich, für den die Zeit spätestens zur Jahrtausendwende stehen geblieben ist. Elliott aber ist gerissen, füllt ihre taumelnden Songs mit klavierwirbelnder Dramatik ab und läßt sich auch davon nicht einschüchtern, daß Victory At Sea in dieser Disziplin längst von den Dresden Dolls rechts überholt wurden. Das Theater der exaltierten Brecht-Jünger hat man hier ohnehin nicht nötig. Die Geschichten, die Elliott vom wahren Leben vordiktiert werden, reichen problemlos aus, um "All your things are gone" zu einer dieser Platten zu machen, die unangenehm in der Seite pieksen. Mit jedem Atemzug ein bißchen mehr. "It's not your birthday / It's your funeral", meint "The letter" und bringt die Sache mit einer abgehalfterten Hymne auf den Punkt. Man macht dazu am besten eine Faust in der Jackentasche.
In seiner abgekämpften Atmosphäre kommt "All your things are gone" dabei immer wieder erstaunlich nahe an "The Meadowlands" heran - jenen meisterhaften Kraftakt, mit dem sich die seelenverwandten Wrens vor drei Jahren den ganzen Frust der Welt von der Seele gespielt hatten. Die Methoden sind bei Victory At Sea jedoch andere, die Songs einfacher und ihre Absichten eindeutiger. "There's no such thing as hearts" heißt das letzte Stück hier sicher nicht ganz zufällig. Und es hat wohl mal wieder mit der Ironie des Schicksals zu tun, daß man das von jemandem erklärt bekommt, der sein eigenes Herz gerade in Brand gesteckt hat. Wie das eben so ist. Wenn man keine andere Wahl hat, als gut zu sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- No reason to stay
- Bored otherwise
- The letter
- No such thing as hearts
Tracklist
- No reason to stay
- Cecile
- Bored otherwise
- The letter
- Turn it around
- Four leaf clover
- To you and me
- Undesirable
- The party
- No such thin as hearts
Referenzen
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- Victory At Sea - Memories Fade (5 Beiträge / Letzter am 31.08.2007 - 18:12 Uhr)