Juana Molina - Son

Domino / Rough Trade
VÖ: 02.06.2006
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Ohne oben ohne

Wer derzeit eifrig im Fernseher dem Fußballspiel südamerikanischer Mannschaften zuschaut, der könnte leicht dem Irrglauben verfallen, daß alle Damen von dort ständig Bikinitops tragen und von Gott mit Dauerglück beschenkt wurden, so sehr üben sie sich mimisch in Dauerfreude. Unsere Vermutung ist aber, daß das durch ARD und ZDF gezeichnete Bild der südamerikanischen Damenwelt eine Klischeeinszenierung ist. Genau wie deutsche Männer nicht immer nur Jogginghosen tragen, und Adiletten längst nicht mehr ihre primäre Fußbekleidung sind, kennen auch die Südamerikanerinnen beizeiten eine träge Melancholie. Wer sich den musikalischen Beweis dafür holen will, der lausche "Son", einem schönen Album der Sängerin Juana Molina aus Argentinien.

Die zwölf Songs von "Son" widersprechen jedem Klischee. Diese Musik hätte in Island genau so aufgenommen werden können wie in Spanien oder Osteuropa. Wahrscheinlich ist "Son" gar Weltmusik. Wobei dies ja hierzulande immer gleich die Schublade ist, die dann geöffnet wird, wenn nicht in englischer oder deutscher Sprache gesungen wird. Fest steht: Diese vertrackten Lieder sind zärtlich versponnen. Es dominieren repetierte Gitarrenläufe, in die warme elektronische Klänge eingespielt werden. Zum Charakteristikum wird dabei die dritte Konstante dieses Albums: eine warme Stimme, die (Entschuldigung, aber der Vergleich muß auf den Tisch!) uns beizeiten an den unbeschwerten Gesangsvortrag von Björk erinnert. Wie in "Yo No", das einen Anschein von Stringenz erst nach mehrmaligem Hören erweckt. Erst eine morgenträge Stimmung, ehe ein chaotischer Beat den Sound vereinnahmt. Die Elektronik nuschelt im Hintergrund. Manchmal, wie in "Un beso ilegal", droht der Sound fast abzustürzen wie ein von zu viel Alkohol beschwipstes Huhn. Doch dann reißt sich alles wieder zusammen, und eine Melodie kehrt zurück.

"Son" ist vieles, aber sicher kein Pop. Immer wieder stellt Juana Molinas aus Buenos Aires vertraute Hörgewohnheiten auf den Kopf. Wer nach dem feinen Anfang von "Micael" etwa erwartet, daß das ganze auch so harmonisch endet, der kennt Frauen aus Südamerika nur aus dem Fernsehen. Statt harmonischer Einigkeit gibt's zum Finale einmal mehr ein mittelschweres Fiasko. Oft ist das Freude für den Hörer. Denn einmal in das System "Son" eingeführt, findet er seine helle Freude an den wechselnden Tempi und gemeinen Finten, mit denen uns Juana Molina aus der wohligen Sicherheit holt. Kurzum: Es bedarf einiger Gewöhnung und der Erkenntnis, daß Konzept hinter dem zerstörten Säuseln von "Son" steckt. Dann kann es Spaß machen. Und es bedarf einer generellen Akzeptanz jener Tatsache, daß auch Frauen aus Südamerika ab und an mal Stoff über dem Bikini tragen.

(Sebastian Peters)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Un beso ilega
  • Micael

Tracklist

  1. Río seco
  2. Yo no
  3. La verdad
  4. Un beso llega
  5. No seas antipatica
  6. Micael
  7. Son
  8. Las culpas
  9. Malherido
  10. Desordenado
  11. Elena
  12. Hay que ver si voy
Gesamtspielzeit: 55:46 min

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myx

2021-02-18 19:29:22

Danke, Watchful. Meine Stieftochter ist übrigens auch begeistert. Kunststück, sie ist auch halb Lateinamerikanerin (Mexiko).

Watchful_Eye

2021-02-18 19:00:23

Die Freude ist ganz meinerseits - endlich interessiert sich mal jemand für sie, 14 1/2 Jahre nachdem ich den Thread eröffnet habe.

Wo sich schonmal jemand interessiert - im Folgenden noch etwas Personenkult. ;)

In ihrem Heimatland Argentinien ist Molina vielen eher als Fernsehstar bekannt. Bis in die 90er hinein war sie Hauptdarstellerin in einer Comedyshow mit Sketchen, so á la Anke Engelke. Das würde man anhand ihres introvertierten Sounds vielleicht nicht erwarten.

Mit Musik hat sie auf professioneller Ebene erst angefangen, als sie Mutter wurde und darauf ihre Fernsehkarriere unterbrach. Allerdings hat sie schon als Kind Songs aufgenommen und über ihren Vater früh King Crimson und Led Zeppelin kennengelernt. Ihre Folk-Elemente sind ihrer Aussage nach eigentlich eher aus Uruguay als aus Argentinien, sie klingt also nicht "einheimisch".

Unter diesem Link findet man eine schöne 20-Minütige Doku über sie aus dem Jahr 2004. Ein paar schöne Einblicke in das Argentinien jener Zeit gibt es auch noch dabei: https://www.youtube.com/watch?v=EuusgZh5sHI

myx

2021-02-18 17:46:28

Freut mich auch, dass ich hier quasi frisch auf deinen Fan-Spuren mitwandeln kann. Und danke für die weiteren Infos. ;)

Ups, da habe ich mich mal blind auf die Diskografie von Spotify verlassen und schon wird man bestraft. Ich denke, ich werde mir ihre Alben nach und nach dann auch physisch anschaffen, bin wirklich angetan.

Watchful_Eye

2021-02-18 17:36:38

Freut mich :) ihr Debüt ist allerdings "Rara" (der Titel "Segundo" heißt meines Wissens auch sowas wie "Das Zweite").

"Rara" kenne ich auch nur zum Teil - scheint noch ziemlich straighter Folk zu sein.

"Segundo" ist wiederum vergleichsweise eklektisch, experimentell und noch nicht so abgerundet wie auf den Alben ab der "Tres Cosas".

myx

2021-02-18 17:15:20

"Tres Cosas" ist auch ganz wunderbar. Was für ein genialer Stilmix ist "Yo sé que" zum Beispiel? Dazu so herrliche "herkömmlichere" Sachen wie die träumerischen 6 1/2 Minuten von "Cúrame" ... Ich bleibe dran, als nächstes ihr Debüt "Segundo".

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