Scritti Politti - White bread black beer
Rough Trade / Sanctuary / Rough TradeVÖ: 02.06.2006
Floating heads
Eigentlich sollte Green Gartside Millionär sein. Scritti Politti waren seine Band in den Achtzigern. Und sie hatten alles. Einen unverwechselbaren Sound, der einst im Blumenbeet des Postpunks wuchs, aber heute mitverantwortlich dafür ist, daß das unschöne Wörtchen Sophisti-Pop existiert. Prima Connections von Madonna bis Miles Davis. Und ein Album namens "Cupid & psyche 85". Jenes profitierte seinerzeit recht ordentlich davon, daß auf MTV noch Musikvideos gezeigt wurden, warf folglich zwei, drei mittelgroße Hits ab und wird heute gern als Geheimwaffe gezogen, wenn mal wieder jemand behauptet, in den Achtzigern seien nur schlechte Platten rausgekommen. Leider litt Gartside aber auch unter panischem Lampenfieber, das regelmäßige Auftritte unmöglich machte. Mit 23 hatte er seinen ersten Herzanfall. Und überhaupt schien er zum Popstar nicht gebaut.
Liebeleien mit dem Kommunismus, diebischer Spaß an konfusen Lyrics und eine allgemeine Sturköpfigkeit verhinderten langfristige Erfolge ebenso wie Gartsides sensibler Charakter; Scritti Politti lösten sich pünktlich zum Start der Neunziger auf und sollten erst Jahre später zurückkehren. Mehr oder weniger als Gartsides Soloprojekt, mit der HipHop-durchsetzten, grandios unerfolgreichen Platte "Anomie & bonhomie". Ist auch schon wieder sieben Jahre her. Und das trifft einen umso schwerer, wenn nun "White bread, black beer" ganz unvermittelt losgeht, als wäre nichts gewesen seitdem. Das zweite Comeback-Album. Der gleiche furchtlose Blick für gläserne Popeinfälle. Und die gleiche unwirkliche Geisterstimme. Auch mit knappen 50 Jahren singt Gartside noch, als schwebe sein Kopf ohne Körper durch die Gegend. Das kann ihm keiner nehmen.
Man muß natürlich aufpassen, daß einem die filigranen Songs dieses Mannes nicht zwischen den Fingern zerbröseln. Man sollte sich aber gleichzeitig auch die Knöchel tapen, bevor man mit "White bread black beer" abtaucht - die Twists und Turns dieser Platte sind nämlich weitaus gewagter, als man ob ihrer verschlafenen Morgenmantel-Atmosphäre zunächst glauben möchte. Schon der hintersinnige Opener "The boom boom bap" zerfließt in Zeitlupe, bis er von einem arglistigen Beat angerempelt wird. Das beinahe putzige "Snow lines" spendiert seinen Stimmbändern ein großzügiges A-capella-Warmup und -Auslaufen. Und "Dr. Abernathy" tastet sich fast zwei Minuten im Dunkeln voran, kippt dann im besten Moment des Albums in munteres Beatles-Geschaukel über und verplempert sein Finale schließlich bei Akustikgitarre und Seele baumeln lassen. Sophisti-Pop. Für Gartside ist das ein Kinderspiel.
Genau das ist allerdings auch eines der Probleme, mit denen sich diese Platte herumplagen muß. Gartside findet sich fast schon zu gut in seinen Songs zurecht, er wirkt vom eigenen Material unterfordert - und deshalb auch ein wenig desinteressiert, wenn sich die ruhigere zweite Hälfte von "White bread black beer" langsam in Luft auflöst. Es ist deshalb gut und wichtig, daß sich Gartside regelmäßig hinüberrettet zu seinen verschmitzten bis verworrenen Texten, die weiterhin klarmachen, daß es da draußen eine Menge Verfehlungen anzuklagen. Und noch mehr Bahnhof zu verstehen gibt. "I'm wishing my life away / For Robin Hood to be king one day." Klarer kriegt man es hier nicht. Aber wir sind ja froh um jeden gesetzten Mann, der seinen Kampfgeist noch nicht verloren hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The boom boom bap
- Snow in sun
- Dr. Abernathy
Tracklist
- The boom boom bap
- No fine lines
- Snow in sun
- Cooking
- Throw
- Dr. Abernathy
- After six
- Petrococadollar
- E eleventh nuts
- Window wide open
- Road to no regret
- Locked
- Mrs. Hughes
- Robin Hood
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- Scritti Politti (4 Beiträge / Letzter am 29.07.2006 - 02:40 Uhr)