Anja Garbarek - Briefly shaking
Virgin / EMIVÖ: 24.03.2006
Fabelwesenhaft
Die Äste knistern unter den unsicheren Füßen. Leise und vorsichtig tasten wir uns voran bis zu dieser Lichtung. Ein kleines altes Grammophon steht da, verstaubt und vergessen. Halt. Eine Schallplatte. Nadel aufsetzen. Langsam beginnt sie sich zu drehen. Plötzlich reißt der dichte Himmel aus Nadeln, Blättern und herumlungernden Eichhörnchen auf und die ganze Waldlichtung erstrahlt in einem blendend hellen Sonnenlicht. "Dizzy with wonder I shake my head to clear the view." Bevor wir uns darüber klar werden können, in was für eine seltsame Welt wir hier gerade einsickern, sind wir längst in ihr gefangen. Ein zwischen warmer Direktheit und kühler Distanz changierender Gesang wird unser ständiger Begleiter sein. Drängelnde und verschleppte Beats zucken abwechselnd um uns durch die feuchte Luft, und wir bekommen Gänsehaut von den Geschichten, die uns erzählt werden.
"Briefly shaking" wird bestimmt von Anja Garbareks poetisch-dichtem Songwriting. Es gelingt ihr, ein bilderüberschwappendes Textdickicht zu erzeugen. Mal unterstützt, mal konterkariert von hart angespielten Gitarren, überschwenglich orchestralen Streicherarrangements und verspielten Saxophon- und Mundharmonikaeinlagen. Viel energetischer als zuletzt spielen Songs wie "The last trick" oder "Sleep" ihr Hitpotenzial voll aus. Und doch bleibt immer ausreichend Platz für ein stilles Umherschleichen oder außeridisch bleepende Schrägheiten. "And it is so strange with his eyes out into darkness." Bilderwände voll von den seltsamen Dingen, die in so einem Wald der Unwägbarkeiten eben passieren können, ploppen wild durch den Kopf. Es ist ein Winden, ein Verschwinden und ein Wiederauftauchen.
Anja Garbarek, die übrigens kein einziges Instrument beherrscht, hat mit "Briefly shaking" ein eigenartiges Fabelwesen erschaffen. Es lebt auch außerhalb all der metaphernreichen Prosa und der großartigen Begleitung von Glis Kristjansson und ihrem Vater Jan Garbarek weiter. Kreaturen mit diffusen Gesichtszügen klammern sich in die Schläfenlappen. Verursachen ein Gefühl zwischen fröstelnder Schmerzhaftigkeit und kleinodiger Schönheit. Erreicht man dann erschöpft, zerkratzt, aber lächelnd das Ende dieses Albums traut man Garbarek prinzipiell so gut wie alles zu. Ohne groß das Gesicht zu verziehen, zaubert sie songgewordene volle Gedankenleinwände aus der Wolkendecke hervor. Und all das ohne durch die Referenzenhölle zu gehen, die vom gemeinen Musikrezensenten ja nur allzu gern geöffnet wird. Die Platte dreht sich nicht mehr. Nadel zurück zum Anfang. Wieder aufsetzen. Noch einmal. Sicher nicht das letzte Mal.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The last trick
- This momentous day
- Shock activities
Tracklist
- Born that way
- Dizzy with wonder
- The last trick
- Sleep
- Shock activities
- Yes
- My fellow riders
- Can I keep him?
- This momentous day
- Still guarding space
- Word is out
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shrink
2006-04-10 10:45:39
Ich finds nicht schlecht.
"my fellow riders" ist ein sehr netter Song.
Nagasaki
2006-04-09 18:36:04
Habs mir auch aus Neugier angehört, kannte Anja Garbarek vorher garnicht.
Ist mir aber irgendwie zu experimmentiell, die Stimme klingt zu stumpf. Und ganz ehrlich, die Referenzen zu Sophie Zelmani und Anna Ternheim in der PT-Rezi, das war doch ein verspäteter Aprilscherz...
tim
2006-04-09 18:20:13
Sehr schlechtes Album.
layne
2006-04-09 18:11:36
Hab "Briefly shaking" zum ersten Mal im H&M gehört, in der Unterwäsche-Abteilung. Anjas gehauchte Stimme passt ganz gut zu Frauen in Unterwäsche oder in einen Fahrstuhl. Würde sie mir auf CD nie kaufen, "Smiling & Waving" fand ich besser.
no.l
2006-04-08 13:38:06
ich dachte zuerst das wäre isobell campbell. nicht mein ding. zu niedlich.
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Threads im Forum
- Anja Garbarek - Briefly shaking (5 Beiträge / Letzter am 10.04.2006 - 10:45 Uhr)