The Appleseed Cast - Peregrine

Gentlemen / Al!ve
VÖ: 07.04.2006
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Sternenhimmel

Hat sich mal jemand überlegt, wie Platten wie diese hier eigentlich entstehen mögen? Treffen sich ein Sänger, ein Bassist, zwei Gitarristen und ein Kasten Bier Freitag abends in so einem kleinen, versifften Proberaum? Okay, nee, echt. So kann das doch eigentlich nicht gewesen sein. Oder? Doch nicht bei denen hier. Nicht bei The Appleseed Cast. Vielleicht war das eher ungefähr so: irgendwo draußen, mitten in der Nacht. Man muß jetzt einfach mal so annehmen, daß solche Jungen nichts besseres zu tun haben, nachts. Also, nochmal: draußen, nachts. Unterm Sternenzelt. Ja, natürlich das. Anders können wir uns das jetzt einfach mal nicht vorstellen. Gut.

Also, jetzt, draußen, nachts. Die Jungen mit ein paar Instrumenten. Chris Crisci so: "Hey, ich hab' da neulich noch 'n paar neue Ideen ausprobiert." - "Laß mal hören." Alles klar. Dann so: Er spielt vor, fängt auch gerade an, ein bißchen was dazu zu singen. Und noch während er das tut, stimmen seine Freunde ein. Unaufgefordert. Es macht sofort "Klick". Einfach so. Sie spielen und spielen und spielen und spielen und spielen. Und spielen und spielen und spielen und spielen. Klar, ne? Dann so, zwei Minuten später: eine Sternschnuppe. Hach. drei Minuten später: Eine Sternschnuppe. Hach! Vier Minuten später: Ihr wißt schon. Und fünf Minuten später ist dann dieses zerbrechliche Etwas fertig, das auf The-Appleseed-Cast-Platten als Song fungiert.

Hach. Richtig, genau. Wer weiß, vielleicht ist das ja wirklich so mit der Entstehung von Platten wie diesen hier. Gut, irgendwann geht's dann wohl doch auch mal ins Aufnahmestudio. Auch für "Peregrine". Da kommen dann diese ganzen tollen Dinge wie Glockenspiele, Drumcomputer, Keyboards, Glockenschellen, Quetschkästen, Banjos und weiß der Kuckuck was sonst noch alles dazu. Diese ganzen netten Gimmicks, die dazu beitragen, zum Beispiel aus dem Anfang von "Silas' knife" dann diese magischen Momente kreiren. In denen plötzlich alles stillsteht. Sowas kann auf The Appleseed Cast-Platten nämlich wirklich schon mal passieren. Die "Fight song"-Kenner wissen Bescheid.

So. Schön, daß wir da mal drüber geredet haben. Jetzt aber noch mal kurz zurück zu "Peregrine". Dem Album im Speziellen, meinen wir. Also, das ist, wie man schon erwarten konnte, wieder eine recht hübsche Geschichte. Aus kleinen Fragmenten wie beispielsweise dem scheuen Gitarrenmotiv von "Woodland hunter (Part I)" wächst solch ein Berg von einer Melodie. Dann ist der Zauber vorbei, und weiter geht's. Beispielsweise mit vier Minuten Instrumentalmusik in "An orange and a blue". Oder aber dem bedeutungsvollen "A fat delivered". Das ist die Art Dramaturgie, die wieder mal Herzchen zerreißt. Vielleicht aber auch mit "Mountain halo". Das ist mit einem hypnotischen Beat wieder mal so ein Kopfkissen-Ding. Will heißen: drauflegen, reinwuscheln, wohlfühlen. Man muß sich diese kleinen, feinen Highlights schon selbst rauspicken. Denn ein klitzekleines bißchen unnahbarer als sonst wirken The Appleseed Cast diesmal dann doch. Möglicherweise ist "Peregrine" damit vielleicht auch nicht die beste Platte der Band. Für alle diejenigen, die das jetzt immer noch nicht richtig mitbekommen haben: Das macht sie auch nicht so arg viel weniger erlebenswert. Na dann mal los!

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sunlit and ascending
  • A fate delivered

Tracklist

  1. Ceremony
  2. Woodland and hunter (part I)
  3. Here we are (family in the hallways)
  4. Silas' knife
  5. Mountain halo
  6. Sunlit and scending
  7. February
  8. An orange and a blue
  9. Song 3
  10. Woodland hunter (part II)
  11. Peregrine
  12. A fate delivered
  13. The clock and the storm
Gesamtspielzeit: 55:01 min

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Eliminator Jr.

2016-08-16 10:50:18

Eine meiner liebsten aktiven Bands überhaupt. Habe sie verhältnismäßig spät für mich entdeckt, eingeschlagen haben sie dafür umso mehr. Haben mit 'Mare Vitalis', 'Low Level Owl' und 'Peregrine' drei moderne Klassiker in unterschiedlichen Genrenischen geschaffen und bis heute nicht unter sehr gut abgeliefert.

Beefy

2016-08-16 09:40:30

Sehr schön geschrieben, Boneless. Als grosser Appleseed-Fan stimme ich dir fast in allen Belangen zu. Allerdings ist für mich ihr Magnum Opus "Low Lewel Owl". Jedenfalls eine der wenigen Bands, die mich schon über zehn Jahre konstant begleitet und nichts von ihrer Magie verloren hat.

Der Untergeher

2016-08-16 00:38:50

Keine Resonanz? fitz? Herder, vielleicht? Dein Post liest sich so großartig, dass ich dann doch mal meine musikalischen Prioritäten über Bord werfe und mir die Platte zu Gemüte führe. Es ist nicht so, dass ich die Scheibe noch nie vorher gehört habe, dass habe ich schon, nur ist das nun doch schon wieder ne ganze Weile her und meine Wertschätzung der Band hat sich seit dem deutlich gesteigert; bin erst vor kurzem wieder mit Ihnen durch meinen Emo-Exkurs in Kontakt gekommen - finde das Debüt ziemlich stark, ehrlich gesagt, wenn auch musikalisch nicht repräsentativ für das Schaffen der Band.

boneless

2016-08-14 22:34:37

7 Jahre kein Beitrag? Hoch mit diesem Thread.

Ich liebe diese Band und nahezu alles, was sie bisher veröffentlicht hat, abgesehen vom gewöhnungsbedürftigen Debut (besser gesagt gab es da genretechnisch deutlich bessere Alben) und Lost Songs. The Appleseed Cast haben sich schon lange ihre ganz eigene, kleine Ecke im Wohnzimmer des Indierock eingerichtet und behaupten diese mit sanfter Vehemenz.

Ihr Magnum Opus ist und bleibt für mich Peregrine, eine Platte, auf der einfach alles stimmte. Hinzu kommt ein hoher emotionaler Wert, denn Peregrine kam zu einer persönlich schwierigen Zeit und hat mir so manche schlaflose Nacht erträglicher gemacht.
Peregrine ist eine Perle, ein Juwel, ein unerschütterliches Statement einer Band, die nie sonderlich viel hermachte und stets die Musik für sich sprechen ließ. Musik, die auf Peregrine wachrüttelt und einlullt, umgarnt und schabt, in sich ruht und ruhelos ist. Warme Decke und Nagelbett zu gleichen Teilen. Von John Congleton (The Paper Chase) absolut (un)perfekt in Szene gesetzt, bündelt die Band auf Peregrine alle vorhandenen Kräfte und lässt ihren Vorlieben freien Lauf. Und diese äußern sich eben nicht nur in unendlich schönen Melodien, sondern auch in nicht vorhersehbaren Ecken und Kanten, die manchmal so ungehobelt in die Szenerie preschen, dass man auch beim mittlerweile sicher 40. Durchgang für einen kurzen Moment zusammenzuckt und erstmal grinsen muss. Es sind Augenblicke, die andere Gruppen sofort vom Band genommen hätten. The Appleseed Cast lassen sie einfach drauf und so rumpelt, bratzt, knackt und kracht es inmitten von schönsten Epen. Und es muss so sein, denn ohne diese schmutzigen Lo-Fi Charakterzüge wäre Peregrine weit weniger charmant als es ohnehin schon ist. Vor allem Schlagzeuger Richardson sorgt diesbezüglich immer wieder für ungewöhnliche rhythmische Knüller und treibt die Songs stets mit viel Gefühl und Herz voran.
Einzelne Highlights hervorzuheben, ist am Ende müßig, denn wirkliche Schwachpunkte sind nicht auszumachen. Allerdings gibt es schon Songs, die noch einen Zacken magischer sind als der Rest, z.B. die beiden übergroßen Instrumentals Ceremony und An Orange and a Blue, die mal eben gestandene Postrockgrößen ganz alt aussehen lassen. Dazu herrlich verzweifelte Kleinode wie February, Sila's Knife oder die Woodland Hunter Parts.

Mit Peregrine haben The Appleseed Cast ein bis ins letzte Detail ausgefeiltes Monument erschaffen, welches wohl immer den ebenfalls wunderbaren Rest ihrer Diskographie überstrahlen wird. Ähnlich wie bei Logh damals The Raging Sun...

Beefy

2009-10-11 10:55:16

Das kannst du laut sagen. Eine der meist unterbewerteten Bands überhaupt.

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