Gregor Samsa - 55:12
The Kora / Own / Al!veVÖ: 31.03.2006
Die Verwandlung
Gregor ist so ein Vorname, der in jedem Lifestylemagazin in der Rubrik "Uncool" zu finden wäre. Gregor Samsa jedoch ist vielleicht eine der wichtigsten literarischen Figuren eines der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts: Franz Kafka. Benennt sich eine Band bewußt nach der tragischen Hauptfigur aus "Die Verwandlung", ist das selbstauferlegte Erbe entsprechend gewaltig. Dabei ist "55:12" kein Konzeptalbum über Kafkas Parabel. Und doch ist Gregor Samsa ein Bandname, der kaum besser gewählt sein könnte.
"Makeshift shelters" und der erste Teil von "Even numbers" bewegen sich in stoischer Ruhe, Gelassenheit und einer Atmosphäre zum Dahingleiten. Doch unversehens verändert sich das Motiv. Eine erhabene Melodie kommt der Metamorphose Gregors von Mensch zum Ungeziefer gleich. Und abermals wird gepaart mit einer leisen, zerbrechlichen Männerstimme Minimalismus exerziert. Als der Mammutsong minutenlang ausklingt, haucht die Stimme einer Elfin aus dem Hintergrund. Entsetzliche Schönheit.
Solche Dramatik wird auf "55:12" oft in Anmut aufgelöst. Gregors anscheinend ebenfalls anwesende Schwester mutet dabei beinahe unscheinbar an, doch in Wahrheit ist sie die erschreckendste Figur der Geschichte. Der Konflikt spitzt sich in "What I can manage" zunehmend zu: Piano, Schlagzeug, Gitarre. Alles nur in sachter Form, aber für das reduzierte Gewand schon fast ausufernd. Das Zusammenleben der elfenhaften Schwester mit dem gräßlichen Ungeziefer wirkt melancholischer und depressiver denn je, bevor es in "Young and old" zum Ausbruch kommt. Der körperliche Zerfall nimmt "We'll lean that way forever" fast vollends den Atem. Die Elfe verstummt kaum hörbar im Hintergrund. Und im schaurig schönen "Lessening" behauptet das Insekt in einem dramatischen Schlußakt endgültig die Oberhand.
Verloren scheinen die gewaltigen Melodien und traumhaften Stimmen in endlosen Räumen. Kafkas Stil der Sprache ist bildhaft, knapp, leicht und gleichzeitig kaum zu meistern. Sie ist emotional persönlich, aber in ihrer Tiefe fast nicht greifbar. Die musikalische Form Gregor Samsas schließt genau dort an und erfüllt beinahe jeden der genannten Aspekte im gleichen Umfang. Nicht nur Kafkas "Die Verwandlung" füllt Kilometer an ausschweifenden Deutungen. Auch die Wirkung der auszulotenden Gefühle von "55:12" scheint immens zu sein. Die Vielzahl von Interpretationsansätzen gleicht einem Labyrinth, in dem man sich verlieren kann. Aber das ist eine ganz andere Erzählung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Even numbers
- Lessening
Tracklist
- Makeshift shelters
- Even numbers
- What I can manage
- Loud and clear
- These points balance
- Young and old
- We'll lean that way forever
- Lessening
Im Forum kommentieren
smrr
2022-06-16 00:13:18
Vielen Dank für's Hochholen diesen Threads. Echt super Album, das mit echt vielen Erinnerungen verbunden ist.
Die Plattenfirma Own Records hat damals auch wahnsinnig die Independent-Radio-Szene unterstützt. War natürlich auch irgendwie Zielgruppe, aber im Nachhinein würde man denen auch gerne noch nen Zwanni schicken, dass die sogar das Vinyl (!) als Dank für Airplay bemustert haben. Unvergessen. <3
Pivo
2022-06-13 08:59:20
Wie gut ist denn bitte dieses Album heute immer noch...??... Schön, dass es das früher mal gab und dass man es heute immer noch genießen kann....
Nur zur Info
2020-07-07 09:50:29
Zum Thema "Styrofoam Coffee":
https://rateyourmusic.com/artist/gregor-samsa
https://duolyth.bandcamp.com/album/styrofoam-coffee
https://rateyourmusic.com/artist/wosx
Kai
2020-07-07 09:33:18
Die Band von diesem Topic hier kommt aus den USA, das Label auf dem diese "Styrofoam Coffee EP" erschien aus Japan und das Label spricht von "the artist Gregor Samsa".
https://twitter.com/profur999/status/1091111862912147456
Auch der Sound klingt nicht nach der and.
Klaus
2020-07-07 09:09:39
"Ja, tolle Band, durfte sie vor über 10 Jahren auch mal live sehen, die EP ist hier die 27:36 (und Gregor Samsa, die ich nicht kenne), 55.12 und Rest die Alben, danach kam meines Wissens leider nichts mehr."
Letztes Jahr kam laut Spotify eine neue EP mit 5 neuen Songs. Aber auch durch googlen ließ sich nicht herausfinden, ob das jetzt wieder eine Band mit gleichem Namen ist, wie so oft bei Spotify.
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