Nick Cave & Warren Ellis - The proposition (Original soundtrack)

Labels / Mute / EMI
VÖ: 03.03.2006
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Trail of dead

Die Hitze quält gnadenlos. Die Zeit liegt im Halbschlaf darnieder, mutlos dämmernd. Ohne Lust, ohne Kraft, sich fortzubewegen. Nacktes Fleisch klafft offen unter dem zerschlissenen Hemd, der Rücken in Striemen aufgefetzt von knallharten Peitschenhieben. Krusten verkleben die absterbenden Poren. Mit den Knien in seiner eigenen Lache, in festtrocknendem Matsch aus Blut und staubigem Sand, kniet er, gefesselt an ein flaches Kreuz mit dem Gesicht zum Balken, und verreckt. Wir sind im australischen Outback am Ende des 19. Jahrhunderts. In der brüllend heißen, trockenen Einöde, wohin Schwerverbrecher verdammt, verflucht und verscheucht werden, wo Kugelhagel die einzige Niederschlagsform ist, wo es weder Recht noch Gesetz gibt, geschweige denn einen fähigen Zahndoktor. Wo die Bärte schweißverklebt zotteln, wo Fliegenschwärme einem den letzten Nerv rauben, jeder gegen jeden kämpft, schon lange niemand mehr eine weiße Weste hat und die Moral Staub frißt. Hier findet die blutgetränkte Jagd den brutalen Burns-Brüdern statt, abgebrühten Schurken, die erst jüngst eine ganze Familie massakriert haben. Es ist eine Geschichte von Ehre, Verrat, Blut und Bruderliebe, die der Film "The proposition" erzählt. Und dessen Drehbuch stammt von niemand anderem als Mollmoritatenmeister Nick Cave.

Er, der sich - ganz im Stile des Films - derzeit auch mit finsterem Bartwuchs zeigt, hat über fünfzehn Jahre nach dem Knaststreifen "Ghosts... of the civil dead" (1988) zum zweiten Mal maßgeblich an der Geschichte eines Films mitgewerkelt, diesmal sogar alleinverantwortlich. In beiden Fällen war sein guter Freund John Hillcoat Regisseur. Seine Kunst hat Cave bei "The proposition" indes sogar in doppelter Hinsicht in den Dienst des Films gestellt: Denn zusammen mit seinem Langzeitgefährten, dem Bad-Seeds-Multi-Instrumentalisten Warren Ellis sorgte er auch für die musikalische Untermalung. Die Frage, ob der Soundtrack auch ohne die Bilder und Handlung des Films funktioniert, stellt sich hier auf noch etwas andere Weise: Denn bis auf wenige Vorstellungen im Rahmen der Berlinale wird der Film in deutschen Kinos noch bis zum Frühsommer auf sich warten lassen. Entsprechend unbeantwortbar ist derzeit noch die Frage, wie der Soundtrack mit dem Film funktioniert.

Die Einsamkeit des gottverlorenen Landstrichs wird in der Musik körperlich spürbar. Rauh, schleppend, karg. Minutenlang kriecht ein und derselbe Streicherakkord vorwärts, mit gesenktem Kopf klagt eine einzelne Geige in erschütternden Motiven ihr Leid, vereinzelt glitzern Klaviertupfer wie Schweißperlen im Gegenlicht. Eine Mundharmonika wimmert, ein Akkordeon atmet flach. Der Kontrabaß knarzt. Dann fallen plötzlich ein paar klare Akkordfolgen ins amorphe Nichts. Der Meister summt wiederholt eine kurze, dreitönige Melodie. Dann wieder das Nichts. Unmerklich später: hektische Betriebsamkeit. Es raschelt, es zischt, klackert, rattert. Irrwitzige Percussion-Kapriolen erstaunen das Ohr. Dann wieder das Nichts. Aus diesem erhebt sich dann mit "Down in the valley" der erste Song im weitesten Sinne. Klar dem spröde klagenden Klanggewand verpflichtet, schleppt sicher sich vorwärts wie ein dürstender Klepper auf der Suche nach frischem Wasser. Cave nuschelt ine verhuschte Melodie, die sich unter tonnenschwerer Trauer kaum bewegen kann, benommen wie im Fieberwahn. Nur kurz. Dann wieder das Nichts.

Abermaliges gespenstisches Rhythmusklappern. Eine Streicherfigur dreht sich im Kreis wie eine Tarantella, um böse Geister zu vertreiben. Unendliche Weite trister Gleichförmigkeit. Fast leitmotivisch begegnen uns die wenigen memorablen Themen immer wieder wie aufgepflockte Schädel von alten Bekannten am Wegrand. Kurze Melodiefetzen verirren sich im Nirgendwo. Klaviersprenkler wie vereinzelte erfrischende Wassertropfen. Ins Nichts schneiden plötzlich kreischende Gitarren über gespenstischem Flüstern. Dann wieder das Nichts. Gesummte Melodiefetzen, getragene Geigenklagen, die unendliche Weite, verrutschte Griffe. Kurz vor Schluß schenkt uns Cave mit dem "Rider song" auch noch ein richtiges Lied, einen der schönsten Titel der letzten Jahre. Wieder mit Ellis' klagender Geige, gemütlich schwingendem Piano, sanften Besenstrichen. Und auch "Clean hands. Dirty hands", der allerletzte Track ist noch einmal mehr Song als Klangmalerei, zerfasert dann zum Ende zwischen Gefiedel und Gitarrengezupfe.

Mit dem Soundtrack zu "The proposition" streift Cave wieder sein Gewand als musikalischer Totengräber über. Weitaus vielseitiger als Neil Youngs rauhe Gitarrenimprovisationen zu "Dead man", aber ähnlich zerrüttet, düster, selbstverloren. Nahezu nirgends ein Hauch der fidelen Beschwingtheit von "Abbatoir blues / The lyre of Orpheus". Hier zelebriert der Meister wieder abgründige Finsternis, Weltende, Menschheitsdämmerung, was der Platte (und wohl auch dem Film) hervorragend zu Gesicht steht. Berückend schön sind die Instrumentalstücke in ihrer zähfließenden Kargheit, still, eindringlich. Schauderhaft poetisch sind sie in ihrer Brüchigkeit, fordern Geduld, ohne die das Kopfkino blaß bleibt. Mit ihr lassen Dich aber vor dem inneren Auge bezaubernd düstere Bilder in eine versunkene Welt eintauchen.

(Ole Cordsen)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The road to Banyon
  • Down in the valley
  • Queenie's suite
  • The rider song

Tracklist

  1. Happy land
  2. The proposition #1
  3. The road to Banyon
  4. Down to the valley
  5. Moan thing
  6. The rider #1
  7. Marthas dream
  8. Gun thing
  9. Queenie's suite
  10. The rider #2
  11. The proposition #2
  12. Sad violin thing
  13. The rider #3
  14. The proposition #4
  15. The rider song
  16. Clean hands. Dirty hands
Gesamtspielzeit: 42:23 min

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