Ben Harper - Both sides of the gun

Virgin / EMI
VÖ: 17.03.2006
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Besonderling

Irgendwo da hinten zwischen Gaumen und Galle muß etwas feststecken bei Ben Harper. Ein klitzekleines Hindernis auf den Stimmbändern, an dem jeder Ton vorbeischrammt. Und das jeder einzelnen Silbe einen gepreßten, leicht nöligen Charaketer verleiht, wie man ihn sonst nur von einem Bob Dylan kennt. Harpers Stimme ist unverwechselbar. Obendrein scheint sich auch noch irgendwo zwischen Kleinhirn und Großhirn ein besonderes Etwas zu verbergen. Es läßt ihn Songs schreiben, die kein anderer so hinkriegen würde, die ein echtes Genie ausmachen. Ja, Ben Harper ist ein Sonderling, aber im positiven Sinne. Man könnte ihn auch einen Besonderling nennen. Dieses Wort gibt der Duden zwar nicht her, aber warum sollte Harper hier der einzige sein, der erfinderisch ist?

Mit all seinen Fertigkeiten treibt Harper gerne mal Schabernack. Der Mittdreißiger, der in den Staaten ungemein erfolgreich ist und hier eher das hat, was man unschmeichelhaft eine "eingeschworene Fangemeinde" nennt, wagte zuletzt sogar das Gospel-Album "There will be a light" mit den alten Herren The Blind Boys Of Alabama. Ansonsten gibt es vor allem zwei Sorten von Ben-Harper-Songs: die lieblich-leidende Ballade mit Akustikgitarren und Streichern auf der einen. Und der virtuose Bluesfunksoulgospelrocker auf der anderen Seite. Beides kommt regelmäßig wie aus der Pistole geschossen und streckt den Hörer nieder. Damit wären wir bei "Both sides of the gun", einem weiteren ambitionierten Harper-Projekt: Hier werden die beiden Gesichter (wie übrigens schon auf der vorangegangenen Live-Veröffentlichung) trennscharf auf zwei CDs verteilt. Sogar ein eigenes Booklet hat jede bekommen.

"Die einfache Wahrheit ist", rechtfertigt Harper, "daß die Extreme mit diesen Songs stärker polarisieren, als sie es je zuvor getan haben. Die eine Hälfte ist so spontan, offen und roh wie alles, was ich je gemacht habe; die andere Hälfte ist so introspektiv und persönlich, wie ich auch als Mensch bin. Ganz offensichtlich passen sie nicht auf eine Platte zusammen." Nun mag man mit Recht anmerken, daß die 18 Songs in 64 Minuten auch gut auf einen Silberling gepaßt hätten. Aber thematisch macht die Aufteilung durchaus Sinn. Wer zuhause Kerzen angemacht und Tee gekocht hat, möchte schließlich nicht regelmäßig von einem herzhaften Gitarrensolo das Stövchen ausgeblasen bekommen.

Zarte Streicher setzen schon bei Sekunde eins von CD eins ein, und man weiß auf Anhieb, um welche der beiden Seiten der Pistole es sich handelt. "Morning yearning" lautet der Opener und vereint schon alles, was die ruhige Seite dieses Mannes schon immer ausmachte. Wie wir schon beim letzten Mal festgestellt haben, soll es ja Leute geben, die sich regelmäßig jede Ben-Harper-Platte kaufen, ungeduldig die Plastikfolie runterreißen und dann eilig durchskippend die Balladen zählen. Und enttäuscht sind, wenn ihre Strichliste am Ende nur von drei Treffern zeugt. Nun gibt's endlich Kuscheln en bloc. Jener Opener ist dann auch der schönste Song der ganzen Platte: "Like a summer rose, I'm a victim of the fall / But am soon returning." Hach! Aber es ist beileibe nicht der einzige Drüsendrücker: "Reason to mourn" schlägt mit Samthandschuhen in eine ähnliche Kerbe, bei "Happy everafter in your eyes" dominiert das Piano. Und bei "More than sorry" jauchzt Harper einsam zu seiner Gitarre. Dazwischen ist höchstens "Sweet nothing serenade" als ödes Instrumental seltsam deplaziert.

Eine ziemlich phänomenale CD, diese erste. Da würde man die zweite sogar dann mitnehmen, wenn auf ihr nur Stille oder die gesammelten Grausamkeiten der letzten Chartsjahre versammelt wäre. So schlimm kommt es bei weitem nicht: In "Better way" wird die Kraft des Kollektivs zelebriert und das Tambourin geklopft, während sich Harper zwischendrin die Seele aus dem Leib schreit. Durch die souligen "Both sides of the gun" und "Black rain" flirren eine Hammond-Orgel und andere Tastengeister, "Gather 'round the stone" läßt in einem Protestlied die guten, alten Zeiten wiederaufleben. "Engraved invitation" vereint Chili-Peppers-Strophen mit einem dicken Chor. In "The way you found me" sorgt ein ausuferndes Solo für Erektionen bei allen aktiven Gitarristen. Und das ausufernde Finale "Serve your soul" für weitere Luststeigerungen. Diese CD mag für manche Fans das Ei des Kolumbus bedeuten, für andere aber schlichtweg zu viel des Guten. Oder besser gesagt: zu wenig des wirklich Guten. Einigen wir uns darauf: Die erste Scheibe ist die intensivere, die zweite die flexiblere. Die erste die für die Musikfans, die zweite die für die Musiker. Hier geht keiner unglücklich nach Hause, versprochen.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Morning yearning
  • More than sorry
  • Happy everafter in your eyes
  • Engraved invitation

Tracklist

  • CD 1
    1. Morning yearning
    2. Waiting for you
    3. Picture in a frame
    4. Never leave lonely alone
    5. Sweet nothing serenade
    6. Reason to mourn
    7. More than sorry
    8. Cryin' won't help you now
    9. Happy everafter in your eyes
  • CD 2
    1. Better way
    2. Both sides of the gun
    3. Engraved invitation
    4. Black rain
    5. Gather 'round the stone
    6. Please don't talk about murder while I'm eating
    7. Get it like you like it
    8. The way you found me
    9. Serve your soul
Gesamtspielzeit: 63:54 min

Im Forum kommentieren

fish

2012-09-08 17:23:02

schönes album mit einem hammer opener. das muss mal wieder gesagt werden.

dani@berlin

2006-11-03 20:48:21

Und weils so schön war, hier nochmal die Setlist:

11.02.2006 - Tempodrom
Berlin, Germany

Set I:
• With My Own Two Hands/War
• Faded
• Wicked Man
• Don't Take That Attitude To Your Grave
• Ground On Down
• Waiting For You
• Morning Yearning
• Burn One Down
• Steal My Kisses
• Please Don't Talk About Murder While I'm Eating
• Black Rain

Encore I:
• Another Lonely Day
• Walk Away
• There Will Be A Light
• Never Leave Lonely Alone
• Lifeline
• Forever
• Where Could I Go

Encore II:
• Diamonds On The Inside
• Better Way



Quelle: http://www.benharper.net/?view=player

dani@berlin

2006-11-03 20:29:14

Sehr schönes Konzert gestern im Tempodrom, gewesen, alte und neue Lieder gut gemischt und die musikalisch-intimen Momente, nur Ben + Gitarre auf dem Schoß, auf die man gehofft hat, gab es im zweiten Teil auch zu erleben. Ich hab zwei Jahre gewartet, nur um einmal WALK AWAY live erleben zu dürfen und hab mich wie ein kleines Kind zu Weihnachten gefühlt, weil mir dieser Wunsch gestern erfüllt wurde.

Gerührt hat mich eine Strophe aus "Where Could I Go...", die Ben Harper OHNE Mikrophon in den Konzertsaal geschmettert hatte. Unfassbar stimmgewaltig...

Dani



Armin

2006-11-01 17:49:33

Ben Harper

Ben Harper ist ein Mann der Bühne und Garant für einzigartige Konzerterlebnisse. Darum freuen wir uns, dass er uns nun in Deutschland beglückt. Präsentieren wird er natürlich viel Material aus seinem letzten, inzwischen sechsten, Solo-Studio-Album "Both Sides Of The Gun". Auf dieser wundervollen Platte trennte der Kalifornier neun eher Seventies-inspirierte Funk-/Rocknummern haargenau von neun eher ruhigen, intimeren Songs und entging damit jeglichen musikalischen Kompromissen der Vergangenheit, ohne die Ansprüche seiner Fans zu enttäuschen.

Tourdates:
31.Oktober 2006 Frankfurt / Jahrhunderthalle
01. November 2006 Düsseldorf / Philipshalle
02.November 2006 Berlin / Tempodrom
04.November 2006 Hamburg / Docks
08.November 2006 München / Zenith

Fundiver

2006-05-23 11:34:02

Der Mann wird einfach unter Wert gehandelt ! Die neue Doppel-Scheibe ist ein Hammer...die Scheibe hat soviel Gefühl, soviel Groove und soviel Power...unverständlich das er nach wie vor ein Aussenseiter-Dasein führen muss....

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