Two Gallants - What the toll tells

Saddle Creek / Indigo
VÖ: 17.02.2006
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das letzte Stündchen

Letzte Nacht war nicht so gut. Die Pritsche zu hart, die Luft aus Feuer. Aber Adam Stephens liegt hier ja auch nicht im Ritz oder zum Spaß herum. Die ersten Stunden des neuen Tages hat er hinter Schloß und Riegel verbracht, nachdem mal wieder Gottweiß was passiert war. Der Whiskey, das Schießeisen, vielleicht ist auch einer draufgegangen. Die Erinnerungen sind da etwas verschwommen. Realität? Verlust der selbigen? Alles eine Klitsche, wenn man erstmal ein bißchen rumgekommen ist. Der Sheriff jedenfalls kaut Tabak und grinst. Aber er weiß ja auch nicht, wer hinter ihm steht. Tyson Vogel. Adams Partner und gut mit dem Messer. Ein Schnitt, ein Schrei, wieder einer tot. Two Gallants. Schnell noch die Kasse plündern, den Gitarrenkoffer greifen. Und dann raus hier. Aus der Stadt, über die Grenze.

Eine Gemeinheit, wie einfach das wieder war. Gitarre, Mundharmonika und ein paar Kochtöpfe zusammengeklaut, einmal kurz die eigene Fantasie angepiekst und wenige Tage später das erste Album fertig gehabt. So und nicht anders war das mit "The throes", dem 2004er Debütalbum der Two Gallants, das zwar niemand gekauft hat, aber immerhin den Saddle-Creek-Burschen aus Omaha in die Hände fiel. Die mochten das natürlich, diese spröden, knochigen, elendig langen Songs, die vom Hardcore über Folk und Country zum Blues gefunden hatten. Zwei Unterschriften später waren Stephens und Vogel die erste Band, die es ohne Beziehungen aufs Label geschafft hatte. Man gab ihnen drei Wochen Studiozeit fürs nächste Album. Und da wurden sie dann ein bißchen nervös.

Es ist nämlich so: Nur weil auch "What the toll tells" wieder vier Acht-Minuten-Stücke mit durchbringen muß, sind Two Gallants noch lange keine Männer, die mit ihren Liedern besonders lange fackeln würden. Je schneller ein Song im Kasten ist, je weniger Takes benötigt werden, umso besser fühlt man sich später damit. Eine gewisse Schnodderigkeit, der ungehobelte Vortrag, das Beschränken aufs Entscheidende und viel rauer Wind um die Nase - das alles gehört hier schließlich genauso dazu wie Stephens kernige, erschütternde und doch humorvolle Geschichten über Blutvergießen, Feuerwasser und leichte Mädchen. Sie hätten vor 150 Jahren im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet spielen können. Aber sie sind einem Mittzwanziger aus San Francisco eingefallen, der gern William Faulkner liest und seine Band nach einer Kurzgeschichte von James Joyce benannt hat.

Nun ist es zwar nicht so, daß man mit dieser Platte Gefahr läuft, sich vor lauter verquerer Rollenspielerei in der dunkleren, gewaltsameren Vergangenheit der USA das Gehirn zu brechen. "What the toll tells" ist aber doch eines dieser verflixten Dinger, die in der Seite stechen und unter den Nägeln brennen, die fordern, fordern und fordern, bis es manchmal gar nicht mehr auszuhalten ist. Und selbstverständlich ist es auch gerade deswegen die erste wirklich meisterhafte Platte des Jahres. Wie sich allein schon "Las Cruces jail" ein gewaltiges Staubaufwirbeln zusammengurgelt, genüßlich am Schmiergelpapier leckt und die Welt von Gitarre und Schlagzeug einreißen läßt: priceless. Und doch erst der Anfang für dieses bitterböse Gefetze.

Wenig später schon werden nicht mehr nur Hälse, sondern auch Spieße umgedreht. Für "Long summer day" verkleiden sich Stephens und Vogel als schwarze Plantagenarbeiter im Südstaatenamerika der Neunzehnhundertzwanziger, schmettern lustige Singalongs und fliesen auch diese Geschichte letztlich noch mit Leichen zu. Über den Ska-Punk-Song "16th St. Dozens" und seine verbogene Trompete will man sich da schon gar nicht mehr wundern; der Schuh drückt ohnehin längst anderswo. Zwischen den schwer keuchenden Songs dieser Platte stehen nämlich immer wieder auch ausgemergelte Balladen, gegerbt und zerfurcht vom Wetter, und doch zerbrechlich wie ein altes Fabrikfenster. Vermutlich das Geheimnis dieser unglaublichen Platte: Sie heult mit den Kojoten, spuckt Feuer und bricht Dir alle Knochen. Aber am Ende reicht sie die schmutzige Hand zur Verbrüderung. Am Ende ist sie menschlich. Musik aus zähem Fleisch und getrocknetem Blut.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Las Cruces jail
  • Long summer day
  • Threnody
  • Age of assassins

Tracklist

  1. Las Cruces jail
  2. Steady rollin'
  3. Some slender rest
  4. Long summer day
  5. The prodigal son
  6. Threnody
  7. 16th St. Dozens
  8. Age of assassins
  9. Waves of grain
Gesamtspielzeit: 59:42 min

Im Forum kommentieren

dronevil

2019-09-02 19:42:25

Klar, die kennt noch jemand;) Auch eine der 00er-Bands, die es irgendwie verdient gehabt hätte, größer zu werden. Das Fan-Potential war da, auch in diesem Thread wurde ja fleißig diskutiert. Grandiose Hymnen gerade auf diesem Album, aber die Nachfolger waren so schlecht nicht.

Mayakhedive

2019-08-30 07:37:49

Wenn die noch erwähnenswert ist, werd ich mir die mal zu Gemüte führen.
Besten Dank.

NochEinTobi

2019-08-30 07:13:22

Und die Scenery of Farewell-EP ist noch erwähnenswert. Danke an MACHINA dafür die Band mal wieder ins Gedächtnis zu rufen!

NochEinTobi

2019-08-30 07:09:57

Stimmt, der war echt noch interessant. Muss ich mal wieder anhören! Schade dass die ganze Webpräsenz vermuten lässt dass die Jungs nicht mehr weitermachen..

Mayakhedive

2019-08-30 06:52:51

Wobei ich den selbstbetitelten Nachfolger auch noch ziemlich gut fand.Alles danach hab ich aufgrund der ziemlich durchwachsenen Kritiken dann irgendwie ignoriert.

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