Witt - Bayreuth 3

Belladonna / Edel
VÖ: 27.01.2006
Unsere Bewertung: 1/10
1/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Schmerzmittel

Was soll man bloß noch schreiben über Joachim Witt? Was nicht schon geschrieben worden wäre? Zum Glück ist auf ihn Verlaß! Joachim Witt platzt mitten in die Ratlosigkeit mit einem Songtitel, der mehr sagt als tausend Worte: "Ahhh!!!". So und nicht anders heißt der Opener von "Bayrreuth 3". Und so und nicht anders fühlt er sich an. "Bayreuth", die Dritte also. Joachim Witt bezeichnet es als Rückkehr auf den Grünen Hügel. Wir als fortgesetzten Feldzug wider den guten Geschmack.

Und jeder, dem das Voranstehende genug an ineinander verzwirbelten Phrasen war, der sollte um so dringlicher von diesem Album fern gehalten werden. Der Meister der Schüttelreime ist zurück. Kostproben? Immer! "Ich bin dieser Träumer draußen am Meer / Und mich packt diese Wehmut manchmal so schwer. / [...] / Wem gehört das Sternenlicht? / Und wem nicht? / Frag ich Dich!". Damit nicht genug: "Der Zauberwahn des Veteran / Verendet gleich / Im Erdenreich." Noch einen? Gerne. Es ist genug für alle da. Der Abschuß zum Abschluß: "Tief in der Tiefe / Alles wird anders durch manch dunkles Spiel / Es türmen sich Lasten, und es wird mir zu viel / Tief in der Tiefe endet die Schlacht / Brich vor mir, Du vor Dir!" Aber bitte, gerne, es kommt eh gerade hoch.

Und die Songs? Die halten, was Titel wie eben "Ahhh!!!", "Schmutz" oder "Wo versteckt sich Gott" versprechen, nämlich nichts. Plump pathetische Plattitüden und kindische Weltverbessererphrasen des ehemaligen "unbequemen Kulturschaffenden" und jetzt angeblich zum "linken Kosmopoliten" gereiften Krächzers. Nichts gegen Kritik an der Kirche, der Globalisierung, dem Imperialismus, dem fortschreitenden Sexismus, Materialismus und Egoismus in der individualisierten Gesellschaft der Postmoderne, aber bitte nicht in Schüttelreimen. Warum sich Tilo Wolff von Lacrimosa für sowas in "Abendrot" als Gast verdingt - das versteh, wer will. Eine Ausnahme macht nur "Neuland". Auf so subtile wie beeindruckende Art und Weise wird hier mit allen Stilkonventionen gebrochen, lassen plötzlich hochtrabende Textzeilen mit Anspruch den Mund offen stehen. Dazu erfüllt ein bis ins Detail ausgefeiltes Songwriting die Nische zwischen Radiohead und Tool auf beeindruckende Weise mit Leben. Okay, war ein Witz.

Wie gesagt: Auf Joachim Witt ist Verlaß. Ein Glück, daß wir nach den Eindrücken der Vorgängeralben rechtzeitig vorgesorgt haben und sie mit Brettern und dicken Nägeln doppelt und dreifach verbarrikadiert haben: Sonst hätte "Bayreuth 3" unserer Bewertungsskala den Boden ausgeschlagen. Das Geld für die Produktion dieser CD in die Hände der Ärzte ohne Grenzen zu geben, wäre hilfreicher, effektiver und vor allem auch gesünder für die Menschheit gewesen. Denn ein Ziel erreicht der "Großfürst der emotionalen Apokalypse": das Wecken einer dem Menschen ureigenen Emotion, des Schmerzes, und zwar in mittelbarer wie unmittelbarer Form. Im Gehörgang, im Sprachzentrum, sogar im Schamgefühl. Was wurde der deutschen Sprache da schon wieder angetan? Erst die Rechtschreibreform und dann das! Aus! Schluß! Mach das weg! Das tut weh!

(Peter Schiffmann)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • -

Tracklist

  1. Dämmerung (Intro)
  2. Ahhh!!!
  3. Menschen
  4. Wem gehört das Sternenlicht?
  5. Schmutz
  6. Wo versteckt sich Gott?
  7. Abendrot
  8. Neuland
  9. Hundert Leiber
  10. Die Macht
  11. Tiefenrausch
  12. Ich spreng den Tag!
  13. Tief in der Tiefe
Gesamtspielzeit: 55:47 min

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv