Thrice - Vheissu
Sub City / Island / UniversalVÖ: 02.12.2005
Es werde Mensch
Button-Kutten und Playmobil-Frisuren sind die Flanellhemdchen dieser Generation. Auf My-Chemical-Romance-Gastspielen kreischen kleine Mädchen, Wir-Möchten-Auch-Gerne-Klingen-Wie-Truppen schießen wie Pilze aus dem Boden, und die Industrie vermarktet das Ganze ja auch ganz schick. Metal-Gitarren sind auch wieder ganz schön cool. Es ist schon seltsam. Und dann war im Sommer '03 (es war ansonsten eigentlich ein sehr, sehr heißer) sogar Thrices "The artist in the ambulance" eine merkwürdig zahme Nummer-Sicher-Platte. Wie ein alter Freund, den Du zum ersten Mal seit Jahren wieder triffst, und der immer noch die selben, alten Geschichten erzählt, nur öder. Ein paar ulkige Anekdoten, ein bißchen Anstandsgrinsen, und zwei Millionen peinliche Déjà-vus. Hallo, wie geht's? Der nächste, bitte.
Ausgerechnet Thrice! Mitinitiatoren einer Bewegung, die mittlerweile, ach, hatten wir ja schon. Das sind doch eigentlich Gut-Männers, die. Es tat ihnen allerdings nicht wirklich weh. Die Band startete durch - wohl auch, weil man trotz allem ein paar sehr veritable Hits am Start hatte -, füllte jetzt auch die großen Säle undsoweiter. Man kennt diese Stories ja. Aber dann muß ein Umdenken stattgefunden haben, irgendwann. Wann? Auf der Tour mit dem Brüllwürfel Chino und seinen Deftones? Das mag sein. Zugegeben, man durfte schon ein wenig zweifeln, ob da noch irgendwann einmal was wirklich Spannendes kommen könnte. Und? Tut es? Ja! Fettes Grinsen. Ein richtig fettes Grinsen. Das ist mit "Vheissu" nämlich alles gottlob vergessen.
Man würde seine allerletzten Bafög-Reserven dafür hergeben, um nur ein einziges Mal in die verstörten Gesichter blicken zu dürfen, die "Vheissu" zurücklassen wird. Wenn in "For miles" - der vielleicht intensivsten Thrice-Nummer überhaupt - im 3/4-Takt getänzelt wird, und Dustin Kensrue am Ende seine "Jaaaaaaaaaa!"-Botschaften schreit, mitreißend wie noch nie. Dann möchte, nein, muß man einfach. Sich gehen lassen, den Stift in die Ecke schleudern, und mitmachen. "We must see that every scar is a bridge / And as long as we live we must open up these wounds", heißt es da. Der volle Kontrast! Von Wienerwalzer auf hunderteinundachtzig. In einem einzigen Song! Die Essenz all dessen, was die Band eigentlich besonders machte, in eine einzigen Nummer gepackt, aufgeladen und losgelassen. Wow.
Und da kommt man auch zum Haken, der eigentlich überhaupt keiner sein dürfte. Denn Thrice verstehen sich nicht länger als bloße Dienstleistungsgesellschaft, die ausgehfein gestylt die Bühne tritt, den Power-Knopf betätigt und ihr Programm (wie immer, bitte) runternudelt. Sie sind wieder die Invidualisten, wieder die Band, die sie mal waren. Auch ohne das Metal im Heavy. Oder eben gerade deshalb. Weil Thrice sich auf "Vheissu" nicht mehr auf die Schablonen, die Song-Formeln verlassen, die sie selbst mitkreiert haben und deren Sound heute mit depperten Unwörtern wie "Screamo" betitelt wird. Weil sie wieder ihr eigenes Ding drehen und damit bestens fahren. Dennoch sind die Einflüsse unüberhörbar. "Hold fast hope" könnten härtere Cave In sein, "The Earth will shake" ein bißchen Isis. Und auch sonst sind da viele Verweise auf große Namen wie Neurosis, Dredg, Aerogramme. Da mußte "Vheissu" ja zwangläufig einfach eine tolle Sache werden.
Und während wahrscheinlich die Hälfte der Screamo-Bengels - dieser Meute armer Schweine, die wohl auf ewig durch die Nacht wandern werden, immer auf der Suche nach dem nächsten (exakt gleichen) Schuß - also, jedenfalls, während die wahrscheinlich schon längst abgewunken hat, erfreut sich der Rest der Welt an einer ganz famosen Rockplatte mit teilweise sehr unglaublichen Melodien und echtem Inhalt. Beispiele? Haben wir: Das sehr, sehr geile "Music box", mit seiner, nun ja, Musikbox, die zwischen den harten Riffs klimpert. "Like moths to the flame", in dem sich die Band die Geschichte um um den Verrat Jesu zu Eigen macht und das nicht die einzige Nummer mit Bibel-Bezug ist. "Red sky", ein Stück, in dem Streichelzoo-Harmonien auf Thrice-Metaphern wie "We'll raise an empire from the bottom of the sea" treffen. Und eine gar nicht mal so unclever gewählte erste Single. Denn "Image of the invisible" klingt wohl noch am ehesten wie die alten Thrice und behandelt eines der Hauptthemen dieser Platte: Identität. "We're more than carbon and chemicals", meint man da, und verweist auf den Menschen, der als Abbild Gottes geschaffen wurde. Man merkt: Hier geht es um Atmosphäre, um Stimmung, Botschaft und vor allem mehr als bloß Haareschütteln. Auch sonst: Glockenspiel, Synthie und Hammond - Glaube, Hoffnung, Liebe. Das ist natürlich alles irgendwo recht christlich angehaucht, aber von der Grundthematik an sich auch sehr universell. Und jetzt alle bitte erst mal kräftig schlucken. Puh!
Highlights & Tracklist
Highlights
- For miles
- Music box
- Red sky
Tracklist
- Image of the invisible
- Between the end and where we lie
- The Earth will shake
- Atlantic
- For miles
- Hold fast hope
- Music box
- Like moths to the flame
- Of dust and nations
- Stand and feel your worth
- Red sky
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Kiwi Musix
2021-09-23 11:42:15
Die Andeutung des Alchemy Index sieht man ja schon an den Songtiteln:
_Atlantic_ = Water
The _Earth_ Will Shake = Erde
Like Moths To _Flames_ = Feuer
Red _Sky_ = Luft
Affengitarre
2019-12-19 22:42:30
Das mit dem Andeuten des "Alchemy Index" ist mir beim kürzlichen Anhören auch aufgefallen, habe mich sowieso durch die ganze Diskographie gehört. Vom rohen und recht unausgegorenen, punkigen "Identity Crisis" bis zum Stadionrock der "Palms". Den Sprung vom Vorgänger zur "Vheissu" fand ich aber auch heftig. Opener und "Hold Fast Hope" hätten vielleicht auf den Vorgänger gepasst, aber sonst ist es viel abwechslungsreicher, im Schnitt ruhiger und auch einfach besser. Von "Vheissu" bis eigentlich "Major/Minor" ist die Band wirklich unschlagbar, wobei ich wohl keines der Alben schwach finde.
derdiedas
2019-12-19 21:39:33
Gerade noch einmal gehört. Wirklich fantastisch, ein Highlight nach dem nächsten. Im Gegensatz zu den Alben davor, die schon einen ziemlich genre- und zeittypischen Sound haben, auch kein bisschen gealtert
Interessant auch, dass hier schon ganz viel vom Alchemy Index angelegt ist. Die zarten Töne von Air, das brachiale von Fire, das sphärische von Water. Nur Earth gibt's allerhöchstens in The Arth will shake ein wenig.
Das ist auch der einzige Schwachpunkt vom Index, auf Vheissu sind die Elemente (ha) miteinander verbunden und daraus ergeben sich wirklich spannende Songaufbauten, die EPs haben eben einen sehr geschlossenen Sound und weniger Abwechslung
Mayakhedive
2019-12-09 16:10:50
Bei “Image of the Invisible“ stimme ich zu, das ist für mich auch kein Highlight.
Sonst aber echt ziemlich super.
Affengitarre
2019-12-09 15:58:58
"The Earth Will Shake" mit seinen brachialen Riffs und dem Gospeleinschlag ist wirklich großartig, das große Finale von "For Miles" sowieso.
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