Muff Potter - Von wegen
Huck's Plattenkiste / UniversalVÖ: 07.10.2005
100 Kilo Herz
Man mag von einer Aktion wie "I can't relax in Deutschland" halten, was man will. Die Wichtigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem sogenannten Heimatland wird jedoch spätestens dann deutlich, wenn man in einer geballten Medienkampagne "Du bist Deutschland" unterstellt bekommt. Muff Potter mögen zum Beispiel eine Menge sein (wenn's sein mußte, waren sie sogar schon die "deutschen Hot Water Music"), aber Deutschland, das wollen sie ganz sicher nicht sein. Zumindest nicht kompromißlos und unreflektiert. Deswegen war ihr "Punkt 9" ja auch vorab schon auf der CD zu "I can't relax in Deutschland" zu hören. Und deshalb gehen sie diesmal in die Vollen, was kritische Nachfragen angeht: "Das ist nicht Dein Zuhause, nicht Deine Familie / Du wurdest nur hier geboren / Und Du fragst dich was außer meiner Kindheit / Hab ich zum Teufel hier verloren?" ("Antifamilia").
Nach den großartigen Befindlichkeitshymnen von "Heute wird gewonnen, bitte" zeigen sich die vier Münsterländer auf "Von wegen" so politisch wie schon lange nicht mehr. In ausgewählten Songs wohlgemerkt. Glücklicherweise nämlich sind Muff Potter aber nicht Heinz-Rudolf Kunze oder Konstantin Wecker, und so gibt es hier keine erigierten Zeigefinger, sondern ein weiteres Mal die ganze Themen-Palette. Eine ganze Reihe von Liedern widmen sich der Liebe in allen Schattierungen, und wie immer gibt es auch diesmal wieder jede Menge Durchhalteparolen für den Morgen nach der Nacht am Bordstein.
Statt der ausgeklügelten Arrangements von "Heute wird gewonnen, bitte" geht es auf der inzwischen fünften Muff-Potter-Platte wieder überwiegend geradlinig nach vorne. Dadurch wirken die Lieder mitunter etwas spröde - es braucht schon etwas länger, bis man diese Platte zu schätzen weiß. Daß das hier zwölf Popsongs im besten Sinne sind, kommt nicht gleich raus, da muß man zuhören. "Zwischen 'Never surrender' und 'License to ill' / Liegt alles, was ich weiß / Und alles, was ich will", heißt es in "Alles was ich brauch". Und man fragt sich, ob wohl jemals schon mal eine so kurze Brücke zwischen Triumph und den Beastie Boys geschlagen wurde. Muff Potter können und dürfen das. Die dürfen im Titeltrack sogar eine Spoken-Word-Strophe mit einer unfreiwilligen "Landungsbrücken raus"-Gedächtnis-Bridge verlöten.
War der Vorgänger Muff Potters "Nevermind", legen sie jetzt ihr "In utero" vor. Ein Album, das die Tür zwar eintritt, aber nicht mit ihr ins Haus fällt. Nagel und Kollege Dennis geben sich immer öfter das Mikro in die Hand und sorgen so für noch mehr Abwechslung. Und wem muß die Band nach zwölf Jahren und vier Alben eigentlich noch irgendwas beweisen? In einer gerechten Welt würden die Kinder natürlich statt Madsen lieber Muff Potter hören, aber letztere sind ja eh über jeden Deutschrock-Trend erhaben: "Alles was ist, alles was war: Wir sind immer noch hier / Wir sind immer noch da."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wecker? Tickt
- Punkt 9
- Wenn, dann das hier
- Born blöd
- Den Haag
Tracklist
- Allesnurgeklaut
- Wecker? Tickt
- Alles was ich brauch
- Punkt 9
- Antifamilia
- Von wegen (Aus Gründen)
- Wenn, dann das hier
- Feuerficker
- 22 Gleise später
- Bring dich doch selbst nach haus
- Born blöd
- Den Haag
Im Forum kommentieren
rainy april day
2022-09-05 10:33:54
Verstehe was du meinst, aber für mich ist Von Wegen das letzte Muff Potter-Album gewesen bei dem sich bei mir solche Gefühle nicht einstellen. Bei allen Nachfolgern (die neue ausgenommen, erst ein Durchlauf bisher) gab es schon mehrere Textstellen, für die das Wort cringe hätte erfunden sein können. Allerdings auch immer wieder tolle Zeilen.
Hoschi
2022-09-05 10:15:17
Born blöd finde ich auch eine der besten Songs auf dem Album, aber der Text erschließt sich mir wirklich auch nach Jahren nicht.
Das peinlich was Z4 anspricht empfand ich eigentlich eher zu Release. Mittlerweile kann man das Album wirklich gut hören, meiner Meinung nach.
Ist zwar nicht ihr bestes, hat aber einige Hits drauf. Alles
Z4
2022-09-05 09:48:32
Findet die eigentlich sonst niemand im Nachhinein peinlich? Dann müsste ich da auch nochmal reinhören. Vielleicht auch mal wieder in ...But Alive. Beides für mich eigentlich seit Jahren unhörbar ohne sehr viel Fremdscham.
eric
2022-09-05 09:30:14
"Born blöd" zählt für mich zu den absolut besten Muff-Potter-Songs. Das letzte Drittel hat so viel Wucht in der Kombi Musik + Text...
Hoschi
2022-09-05 08:49:06
Gerade, aufgrund des neuen Albums, nochmals alles ab "von wegen" angehört.
Steady Fremdkörper bleibt wohl nachwievor mein liebstes.
Den Text von "born blöd" check ich aber bis heute nicht ;)
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