
Keren Ann - Nolita
EMIVÖ: 12.09.2005
No Lolita
Gratulation! Der erste Preis in Kategorie "Plattentitel, die Kritikern Wind aus den Segeln nehmen" geht diesmal an die bezaubernde Französin Keren Ann. Ihr Album heißt "Nolita". Ein wohlbedachtes Wortspiel, bei dem der Rezensent kurz zusammenzuckt; und dann versteht, daß Keren Ann keinesfalls in jene Schublade gesteckt werden will, in der schon so viele französische Chanteusen vorher gelandet sind. Man mußs es ihr einfach glauben. Sie will, obwohl sie so bezaubernd und erotisierend ins Mikrophon haucht, keinen Typen um den Finger wickeln. Beschützerinstinkte sind hier deshalb fürwahr fehl am Platze. Es geht um Musik. Um ganz formidable übrigens.
Die Instinkte von Beschützern wären vielleicht auch ein wenig fehlplaziert bei einer Dame, die nunmehr dreißig Jahre alt ist und sich jüngst kurzerhand den Lebenstraum erfüllte, mit ihren gebrechlichen und intimen Chansons durch die Clubwelt von New York zu reisen. Dort wird sie gefeiert, nachdem ihr Album in den Staaten bereits im Frühjahr erschien. Mehr als zurecht, wenn man den zehn fragilen Flüstertüten gelauscht hat, die sich da auf "Nolita" tummeln. Die beiden Opener "Que n'ai-je?" und "L'onde amère" schleichen langsam an. Die Stimme flüsternd und der Sound im Hintergrund wohlig abgestimmt. Zwischen Chanson und Folk, brillant durch allerlei Nebengeräusche in Szene gesetzt, so klingt Keren Ann Zeidel anno 2005. Das absolute Highlight ist wohl gleich der dritte Song: "Chelsea burns". Wo wir mit Preiskategorien angefangen haben, muß an dieser Stelle der Preis in der Kategorie "traurigste Hommage an das Ende eines Stadtteils" gleich mal an "Chelsea burns" vergeben werden. Die bezaubernste und zeitgleich traurigste Melodie des Albums.
Fröhlicher wird es wieder mit "Midi dans le salon de la Duchesse". Da gibt die eine Gitarre stupide einen Rhythmus vor, während die Saiten-Co-Pilotin durch den Song gleitet. Keren Ann singt dazu mit einer Unschuld, bei der man dann doch für das "N" im Plattentitel ein "L" kaufen möchte. Um schließlich direkt beim fünften Song des Albums (wieder so ein wunderschön dezentes Stückchen Chanson) daran erinnert zu werden, dass das Album "Nolita" heißt. Und um zum Ende des Songs ein lautes Stöhnen der Sängerin zu vernehmen, die sich mit vibrierenden Geigen duelliert. Unschuldig geht es weiter: "Roses and hips along the sidewalk/ Fools got eyes and I don't".
Es ist jene beeindruckende instrumentale Vielfalt, die "Nolita" abhebt von all dem, das ansonsten so im wahrlich derzeit nicht an Quantität armen Genre Singer/Songwriter geschaffen wird. Es ist jener Einklang der Instrumente, der das Album zu einem kleinen Meilenstein werden läßt. Wie bei "One day without". Keren Ann hat einmal mehr keine große Lust, ihre Gedanken lauthals zu vermitteln. Akustische Dezenz, die sich dennoch wohlig fügt. Ein Piano, verzerrte Gitarren im Background. "La forme et le fond" etwa: fängt seltsam elektronisch an, um nach zwei Sekunden doch zu einem Popsong zu werden, der sich dann als Soundschleife überrollt bis zum Ende. Einzig die letzten drei Songs des Albums fallen ein wenig ab. Keine Ausfälle, sondern lediglich dezenter in der Melodie. Und beim Finale, beim "Song of Alice", müssen wir gar ein bisschen warten, ehe tatsächlich Keren Ann das Wort ergreift. Vorher flüstert sich eine (männliche!) Erzählerstimme durch den Sound. Rollentausch. Und einmal mehr der Beweis. Um den Finger wird hier keiner gewickelt. Wohlgemerkt: No Lolita!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Chelsea burns
- Nolita
- Roses & hips
Tracklist
- Que n'ai-je?
- L'ondre amère
- Chelsea burns
- Midi dans le salon de la duchesse
- Nolita
- Roses & high
- One day without you
- La forme et le fond
- For you and I
- Song of Alice
Referenzen
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