Marilyn Manson - Holy wood (In the shadow of the valley of death)

Universal / Motor
VÖ: 13.11.2000
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

The Black Album: Death is (not) the end

Jeder Kunstexperte wird es bestätigen können: Ein möglichst großes Maß an Farbe macht noch lange kein gelungenes Bild. Brian Warner alias Marilyn Manson definiert sich zwar seit jeher als Gesamtkunstwerk der völlig anderen Art, schert sich aber recht wenig um dieses Gebot. Weder mit der Körperbemalung noch mit Provokation wird gespart. Kübelweise wird Salz in die Wunden gestreut und unaufhaltsam landet Sand in den Gebetsmühlen der Gesellschaft. Das Desaster der selbigen erscheint in den Augen von Marilyn Manson zu weitläufig und tiefgehend, um durch irgendwelche harmlosen Apelle gebrochen werden zu können. Wachrütteln lautet die erste Devise, und dazu ist nach wie vor musikalisch wie textlich jedes Mittel recht.

Für die größere Aufruhr hat Marilyn Manson in der Vergangenheit allerdigs unter seinen Kritikern gesorgt. Zwar haben die gnadenlosen Moralwächter bislang immer vergeblich nach Argumenten gesucht, Marilyn Manson auch noch für Tschernobyl, Hiroshima und bestenfalls die beiden Weltkriege verantwortlich zu machen. Wenn allerdings einmal mehr ein Fall jugendlicher Gewaltanwendung mit Todesfolge durch die Presse geisterte, waren die üppig mit Manson bestückten Posterwände im Kinderzimmer schnell als naheliegende Ursache zur Stelle. Hingegen wird die Idee, auf dem Cover von "Holy wood" eine Kreuzigung zu thematisieren, unter den meisten Rockfans nur noch ein leises Gähnen hervorrufen. Die Stürme der Entrüstung insbesondere im konservativen Amerika sind natürlich vorprogrammiert. Ob die Intention, durch solche vor den Kopf stoßende Provokation schließlich doch einen positiven Effekt zu erzielen, wirklich fruchtet, ist jedoch zweifelhaft, wenn ein blasphemisches Motiv derart geschmacklos umgesetzt wurde wie in diesem Fall. Im Jahr Eins nach Littleton wird sich mit der Veröffentlichung von "Holy wood" die reinigende Wirkung, nach wie vor erste Intention hinter Marilyn Manson, in Grenzen halten. Einfach zu oft schon haben wir Manson in der Jesuspose am Kreuz hängen sehen, zu oft hat er Kirche, Gesellschaft oder Welt ein derbes "Fuck you" entgegengeworfen. Die ursprüngliche Mission von Marilyn Manson, irgendjemanden (seien es die Anhänger der christlichen Kirche oder die verlogene Öffentlichkeit an sich) zu bekehren, scheint gescheitert. Die Welt ist verloren und was bleibt, ist die Musik.

Wahrhaben will Marilyn Manson dies allerdings noch nicht und legt mit "Holy wood (In the shadow of the valley of death)" trotzig eine logische Fortsetzung zu "Antichrist superstar" und "Mechanical animals" nach. Im Gegensatz zu früher hat sich der Antichrist auf ein einziges Thema eingeschossen, unter dessen Dach er 19 Tracks zu einer Art Konzeptalbum zusammenschweißt. Unmittelbar beeinflußt von der Tragödie in Littleton und dem darauffolgenden Wirbel um Marilyn Manson betreibt "Holy wood" Ursachenforschung und erhebt auf mitreißende Weise sowohl Zeige- als auch Mittelfinger in Richtung der scheinheiligen amerikanischen Heilewelt.

Die musikalische Umsetzung dagegen wirkt überaus vertraut, da eine Weiterentwicklung oder Veränderung gegenüber der Vorgänger kaum erkennbar ist. Auf gleich 19 Tracks (davon nur die wenigsten über dreieinhalb Minuten) wird weitergesponnen, mitunter aber auch nur wiederverwertet, was Marilyn Manson über die Jahre ausmachte. So fusioniert die Vorabsingle "Disposable teens" den Rhythmus von "The beautiful people" mit den Leichenteilen von "Rock is dead" zu einem neuen, aber alles andere als neuartigen, Stampfer. Die treibenden Drums von "The fight song" dagegen sind von ganz anderer, weitaus überraschenderer Stelle, entlehnt: "Song 2" von Blur stand ganz offensichtlich Pate für das vielleicht krachigste Stück auf "Holy wood", das dank seiner offensiven Lyrics und der Parole "The death of one is a tragedy / The death of millions is just a statistic" die Wirkung nicht verfehlt.

Daß musikalischer Anspruch für Marilyn Manson kein Fremdwort ist und subtiles Songwriting aus seiner Welt nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, wurde ja vor allem auf "Mechanical animals" schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Auch auf "Holy wood" finden sich einige hochklassige, fein arrangierte Songs, die sich für den weniger intensiven Beobachter gar nicht mit dem konsequenten Image Marilyn Mansons verbinden lassen: "Target audience (Narcissus narcosis)" mit sprechgesungener Strophe und druckvollem Refrain wettert gegen Götzentum jedweder Art und verleiht dem gerne gebrauchten Begriff "Zielgruppe" eine ganz neue Bedeutung. Auf "The nobodies" bedient Brian Warner ironischerwiese fließig die Kirchenorgel und schießt gegen genau die Überheblichkeit, die er schon so oft selbst personifizierte. Das opulente "Lamb of God" hingegen kennzeichnet den wohl ambitioniertesten Track des Albums und dringt ähnlich ins Mark wie der Schrei eines Opferlamms im Kampf gegen den Tod. Marilyn Manson sieht "Lamb of God" gar vom "White album" der Beatles inspiriert, was nach eigener Aussage als zynische Hommage an John Lennon zu verstehen ist: "There was Lennon and the happy gun / There were words on the pavement" singt er, um im Refrain "If you die when there's no one watching / Then your ratings drop and you're forgotten / If they kill you on their TV / You're a martyr and the Lamb of God" nachzulegen. "Coma black" schließlich steht als Gegenstück zu "Coma white" vom Vorgängeralbum und sieht den Tod als einzige Alternative ("This was never my world / You took the angel away / I’d kill myself to make everybody pay") zur bitteren Pille "Coma white", die da Anpassung an die Masse lautet.

Doch leider macht ein Konzeptalbum, das ein gewisses Ziel verfolgt, in seiner Gesamtheit nur Sinn, wenn das Niveau auch gehalten werden kann. Was bringen die aufrüttelndsten Tracks, wenn darauf immer wieder Stumpfsinnigkeiten wie "President dead", "Born again" oder "King Kill 33°" folgen, die mitunter dazu führen, daß man vor lauter Bäumen keinen heiligen Wald mehr sieht. So legt das Tal des Todes in seinem Verlauf viele beeindruckende Höhen, aber auch einige Tiefen an den düsteren Tag und thematisiert fortwährend das Töten, die Ursachen und den Auswirkungen auf die Medienwelt. Am Ende des Albums angekommen wartet schließlich das jüngste Gericht mit dem epischen Titel "Count to six and die (The vacuum of infinite space encompassing)", das in Bedrohlichkeit und Stimmung "The great below" vom letzten Studioalbum der Nine Inch Nails ähnelt. Immer und immer wieder hört man das sich drehende und einrastende Magazin einer Pistole und Manson kämpft mit den Worten "I won't ask forgiveness / My faith has gone dry" gegen das Piano, sich selbst und die Außenwelt. Die Trilogie hat ihr Ende gefunden und es ist unklarer denn je, wie die Zukunft von Marilyn Manson aussieht, wenn die musikalischen Ideen langsam knapp und die Inhalte nicht mehr wahrgenommen werden. "Nothing's gonna change the world" resigniert Marilyn Manson in "Lamb of God". Die Kohlen wird auch er nicht mehr aus dem Feuer holen.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The fight song
  • Target audience (Narcissus narcosis)
  • The nobodies
  • Lamb of God
  • Coma black: a) Eden eye b) The apple of discord

Tracklist

  1. Godeatgod
  2. The love song
  3. The fight song
  4. Disposable teens
  5. Target audience (Narcissus narcosis)
  6. "President dead"
  7. In the shadow od the valley of death
  8. Cruci-fiction in space
  9. A place in the dirt
  10. The nobodies
  11. The death song
  12. Lamb of God
  13. Born again
  14. Burning flag
  15. Coma black: a) Eden eye b) The apple of discord
  16. Valentine's Day
  17. The fall of Adam
  18. King Kill 33°
  19. Count to six and die (The vacuum of infinite space encompassing)
Gesamtspielzeit: 68:17 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2020-12-08 12:56:21

Stimme Machina zu, sehe das sehr ähnlich.

Bezüglich Artwork, da habe ich tatsächlich "Antichrist" bis "Holy Wood" physisch da und habe nochmal geblättert. Die Cover finde ich auch alle stimmig, aber auch die Artworks von "Antichrist Superstar" und vor allem "Holy Wood" sind echt gelungen. "Mechanical Animals" ist aber ganz cool aufgebaut, weil es die Texte zwischen Omega und Alpha aufteilt und bei einer Hälfte des Booklets auf die Inszenierung Mansons in verschiedensten Glamrockposen setzt und die andere auf Abbildungen in Zusammenhang mit Drogenkonsum. "Golden Age of Grotesque" hat noch ein ganz schickes Cover und dann finde ich die ab "Pale Emperor" eigentlich auch ganz cool.

Klaus

2020-12-08 00:25:13

Der sehr gute Abschluss einer Trilogie. Antichrist Superstar, mechanical Animals und die hier liegen alle im Bereich 8-9. Danach ging es mittelgut weiter.

Felix H

2020-12-07 22:18:26

Finde "The Pale Emperor" sehr ästhetisch, passt zum Album. "We Are Chaos" find ich auch ok.
Das komische Neondingens auf "The High End Of Low" find ich schlimm. :D

Bei "Holy Wood" gab's sogar eine optisch zensierte Version, die vorne und hinten nur dunkel war (und halt böse Wörter ausgeblendet hatte). Für die zarten Seelen, die trotzem Marilyn Manson hören...

The MACHINA of God

2020-12-07 22:14:47

Ach das Bild selbst find ich ganz cool, die Schrift ist allerdings furchtbar. Das schönte Cover hat aber tatsächlich "We are chaos" für mich.

Felix H

2020-12-07 21:59:16

Kenne nur bei "Eat Me, Drink Me" das komplette Artwork. Das war schon enttäuschend. Bei "The High End Of Low" hat mir das Cover schon gereicht zu wissen, dass ich den Rest des Artworks nicht sehen muss. :D

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