Paul McCartney - Chaos and creation in the backyard
Parlophone / EMIVÖ: 12.09.2005
Get back
Keine zehn Jahre gab es die Beatles, gute 35 Jahre liegt indes das Ende der vermutlich größten Popband aller Zeiten zurück. John Lennon ist seit fast 25 Jahren tot, George Harrison immerhin gute vier. Man sollte also meinen, es sei genug Zeit ins Land gegangen, um Paul McCartney nicht mehr als "Ex-Beatle" bezeichnen zu müssen. Immerhin ist er ebensogut ein Ex-Wing und seit über 35 Jahren auch als Solokünstler aktiv. Als solcher veröffentlicht er in regelmäßigen Abständen Livemitschnitte und neue Studioalben. Erstere werden immer wieder wegen der erfrischenden Umsetzung alter Beatles-Klassiker gelobt, letztere zwar gekauft, von der Musikpresse aber doch irgendwie ignoriert. Ein richtig schlechtes Album hat McCartney nie veröffentlicht, das letzte rundum gelungene Solowerk "Flowers in the dirt" liegt allerdings auch schon wieder 16 Jahre zurück.
Nigel Godrich war damals 17 Jahre alt. In der Zwischenzeit ist der Brite durch seine Arbeiten unter anderem für Radiohead, Travis oder Beck zu einem der gefragtesten Produzenten der Welt gereift. So hätte die Nachricht, daß Godrich das neue McCartney-Album produzieren würde, eigentlich nicht groß überraschen dürfen. Daß sie es trotzdem tat, liegt vielleicht an der allgemeinen Unterschätzung, die Macca als ernstzunehmender Musiker immer noch widerfährt. Dabei entpuppt sich Godrich - Überraschung! - als absoluter Glücksfall für McCartney. Als erstes verhinderte der Knöpfchendreher nämlich jedweden Radiopopkitsch und legte "Chaos and creation in the backyard" als legitimen Nachfolger von "Let it be ... naked" an.
"Fine line", gleichermaßen Opener wie erste Single, gibt die Richtung vor: Ziemlich Pianolastig ist das Album geworden und ausgestattet mit reduzierten Arrangements. Die Produktion ist ausgesprochen songdienlich, und wenn Godrich mal auf Sound-Gimmicks zurückgreift, dann so geschmackssicher wie man es von jemandem, der auch die Alben von The Divine Comedy abgemischt hat, erwartet. Allein an der Tatsache, daß der Name des Produzenten in dieser Review bisher fast so oft auftauchte wie der des Künstlers, kann man ablesen, welchen Einfluß Godrich auf das Album gehabt haben muß.
Aber auch McCartney ist in Höchstform: Er spielte fast alle Instrumente selbst ein (was allerdings gar nicht weiter auffällt) und schrieb auch noch 13 Songs, von denen kein einziger als Ausfall betrachtet werden müßte. "Jenny Wren" ist eine punktuierte Akustikballade in der Tradition von "Blackbird" und "Calico skies", "A certain softness" kommt als schlurfiger Bossa Nova daher, und "This never happened before" ist der kleine Bruder von "The long and winding road". McCartney zitiert sich augenzwinkernd selbst, ohne sich dabei zu wiederholen und klingt dabei, von gewissen Altersweisheiten in den Songtexten ab, auch noch jugendlicher als so manche Nachwuchskünstler. Fast scheint es, als sei hier der junge Paule am Werk, der auf dem CD-Cover von seinem Vater abgelichtet wurde.
Zeilen wie "How kind of you to stick by me / During the final bout / And listen to the refferee / As I was counted out" sind allenfalls Selbstironie, denn schon lange war McCartney nicht mehr so weit davon entfernt, auf die Bretter geschickt zu werden. 1967 fragte Paul McCartney auf "Sgt. Pepper's lonely hearts club band", ob man ihn noch brauchen werde, wenn er 64 sei. Jetzt, ein knappes Jahr vor diesem besonderen Geburtstag, lautet die Antwort ganz klar: ja.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fine line
- At the mercy
- Too much rain
- Riding to Vanity Fair
- Anyway
Tracklist
- Fine line
- How kind of you
- Jenny Wren
- At the mercy
- Friends to go
- English tea
- Too much rain
- A certain softness
- Riding to Vanity Fair
- Follow me
- Promise to you girl
- This never happened before
- Anyway
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2021-11-03 18:21:43
Zählt für mich nach wie vor zu seinen allerstärksten Releases, die melancholischere Grundstimmung steht dem älteren McCartney ausgezeichnet, die Arrangements sind ausgezeichnet und auch die Songs sind durchgehend stark. Highlights für mich sind "How Kind of You" und "Jenny Wren", abfallen tut aber nichts.
Affengitarre
2020-05-28 11:32:00
Ja, das kann sein. Cool auch, wie viel er selbst macht.
Takenot.tk
2020-05-28 11:25:37
Ja, aber ich glaube Godrichs wichtigster Beitrag war direkt am Anfang, als er Pauls Band nach Hause geschickt hat und gesagt hat, wie machen das mal lieber zu zweit (so hatte ich es zumindest mal gelesen.
Paul spielt ja mal wieder fast alles selbst auf dem Album...
Affengitarre
2020-05-28 09:44:08
Ich glaube dass es auch wichtig war, dass ihm jemand auch mal "nein" gesagt hat. Godrich soll ihm ja verboten haben, Songs zu Singen die er nicht mochte. Ich meine, starke Songs hatte er eigentlich immer aber nach den Beatles fehlte oft eine kontrollierende Instanz.
Takenot.tk
2020-05-28 07:56:39
Für mich auch sein bestes Solo-Album jenseits der frühen 70er, obwohl ich seinem Werk generell viel abgewinnen kann.
Ich kann zwar verstehen, dass man sich in den Alter und bei dem Status nicht mehr unbedingt einen wirklich fordernden Produzenten antun möchte, aber in diesem Fall hat es das letzte Quentchen aus McCartney rausgeholt, welches er sonst gerne mal stecken lässt mit zunehmendem Alter...
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