Oceansize - Everyone into position

Beggars Banquet / Indigo
VÖ: 19.09.2005
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Detonationen im Kopf

Es kribbelt im Vorfeld. Vielleicht nur beiläufig hat man erfahren, daß eine der Lieblingsbands sich wieder im Studio zusammengerottet hat. Hoffnung keimt, bald eine neue Scheibe in Händen zu halten. Das Warten beginnt, kann quälend lang werden. Je näher der Veröffentlichungstermin rückt, desto höher steigt das kitzelige Vorfreudefieber. Nur noch X Wochen, Tage. Im Kalender ausgestrichen. Dann wird unverhofft der Termin verschoben. Mist. Noch länger warten. Die Gerüchteküche brodelt ob der knabbernden Frage, in welche Richtung die musikalische Reise auf der neuen Scheibe gehen wird, und ob sie dem famosen Vorgänger die Stirn bieten oder ihn gar überbieten können wird. Ein Kandidat für solches Kribbeln war Oceansizes "Everyone into position", nachdem ihr brachial-schönes "Effloresce" vor etwa zwei Jahren wie ein Blitz aus dem nichts in der Musikszene eingeschlagen war.

Dann ist der lang ersehnte Tag da. Die Paketpappe wird auseinandergerissen, die CD aus der Hülle gerupft, rein ins Abspielgerät. Und nach wenigen Minuten glitzern die Augen freudig. Das Warten hat sich gelohnt. Nach dem Kracher kommt der Kracher. Auch auf der neuen Scheibe ziehen die vier Briten aus Manchester mit erstaunlicher Sicherheit gleich einen ganzen Strauß von Breitband-Epen in Sieben-Minuten-Nähe aus dem Zauberhut, die allesamt verblüffend vielschichtig arrangiert sind. Hochkomplex und doch nicht verkopft, anspruchsvoll und doch eingängig. Erneut gelingt der dynamische Husarensprung zwischen alles zermalmenden Dampfwalzengitarren und fast zärtlicher Melodieseligkeit - the best of both worlds. Nach wie vor jonglieren sie mit Rhythmen ebenso sicher wie Ronaldinho mit der Lederkugel, und trotzdem verliert das Ohr nie die Orientierung.

Der fantastische Opener "The charm offensive" zeigt gleich zu Beginn, wo der Bartel den Most holt. Über Tom-Kaskaden im 11/8-Takt tanzt die Gesangsmelodie von Mike Vennart. Dahinter verdichten sich verhallte Gitarrenlinien allmählich, ehe ihnen von unten ein fettes Riff untergeschoben wird. Eine kleine Klangexplosion später dann plötzlich filigraner, verträumter Wohlklang, Luftholen für die nächste Angriffswelle, die sich prompt daran anschließt. Original Oceansize. Und doch klingt dieser Song aus der Ferne, als hätten A Perfect Circle und Soundgarden fusioniert, um eine All-Star-Band zu gründen. So richtig wuchtig kracht es allerdings erst im Monsterrefrain zu "Heaven alive", das wiederum eher verhalten mit Mellotronchören und rhythmischem Elektrogeraschel anfängt, ehe es einen langsam in einen groovenden Strudel saugt.

Die wohl donnerdste Riffwalze des gesamten Bandoeuvres findet sich dann in "A homage to a shame", das mit enorm akzentuierter Mörderwucht aus den Boxen birst, wie man es von Tool kennt, und einen beim Hören aus dem Sessel bläst. Schade indes, daß die furiosen Knüppelpassagen ein vergleichsweise hausbackener und wenig mitreißender Refrain unterbricht und die ausgebrochene Begeisterung ein wenig abkühlt. Doch bevor die kurzzeitige Gleichgültigkeit auch nur die Chance hat, sich Gehör zu verschaffen, sind sie um die nächste Ecke gebogen, packen und schleudern Dich in das nächste Klanginferno, lassen Dich in sturmgepeitschtem Seegang nach Luft schnappen. Dann glätten sich die Wogen, Du treibst in eine kristallklare Bucht, sie ziehen Dich sanft aus den Fluten und legen Dich zur Erholung auf watteweichen Teppich aus zarter Traumseide. Dort lassen sie Dich fast überraschend lange ruhen, um Dich aber zwischendurch immer wieder kraftvoll wachzurütteln. Am Ende öffnest Du die Augen, sie glänzen noch immer, die Packpappe liegt noch aufgerissen auf dem Tisch. Jetzt ist es amtlich: Das Warten hat sich gelohnt.

(Ole Cordsen)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The charm offensive
  • Heaven alive
  • No tomorrow
  • You can't keep a bad man down
  • Ornament/The last wrongs

Tracklist

  1. The charm offensive
  2. Heaven alive
  3. A homage to a shame
  4. Meredith
  5. Music for a nurse
  6. New pin
  7. No tomorrow
  8. Mine host
  9. You can't keep a bad man down
  10. Ornament/The last wrongs
Gesamtspielzeit: 66:49 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2024-08-13 23:08:43

Und das von "No tomorrow" nagelt so übel. :D Echt ein ziemlicher Trip bei den Temperaturen und Kräutern. Danke für's Erinnern. Und ich gehe mit, rein "songwriterisch" wohl echt die beste, auch wenn die Nachbar-Alben insgesamt besser, weil auch mehr sind als ihre Teile sind.

Muss die Band echt mal wieder bisschen mehr hören.

The MACHINA of God

2024-08-13 22:53:25

Boah, das Finale von "Nurse"...

The MACHINA of God

2024-08-13 22:27:43

Geil mal wieder eingelegt zu haben. Breit in Boxershorts aufm Balkon bei 26 Grad abmatten.

The MACHINA of God

2024-08-13 22:04:00

Der vielleicht beste Moment dieser großen Band.

Ist das das Ende? Das hab ich immer so geliebt.

Als Alben sind das Debut und Frames immer noch besser, aber hier haben sie ihre besten Songs geschrieben.

Guter Punkt. Könnte ich wohl so unterschreiben.

Unangemeldeter

2024-08-13 21:29:52

Find a face. Put it on. Pretend there's no tomorrow.

Der vielleicht beste Moment dieser großen Band. Das geht so unfassbar hart.
Als Alben sind das Debut und Frames immer noch besser, aber hier haben sie ihre besten Songs geschrieben.

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