Echo & The Bunnymen - Siberia
Cooking Vinyl / IndigoVÖ: 19.09.2005
Überraschungsbesuch
So langsam kommt der Herbst. Altweibersommer hin, Indian Summer her, allmählich wechseln die Temperaturen von biergartenlau nach pulloverkalt. Dann sitzt man wieder drin, dreht Däumchen und weiß nicht genau, mit wem man an diesen plötzlich so finsteren regnerischen Abenden den passenden Rotwein schlürfen soll. Man hastet durch die windigen Straßen an Leuten vorbei, die einen an alte Bekannte erinnern, die man gerne einmal wieder sehen würde. Bis es plötzlich abends an der Tür klingelt, und jemand vor der Tür steht, den man schon fast vergessen hatte.
So ähnlich geht es einem mit Echo & The Bunnymen. Man hört all die Interpols und Editors und denkt sich, "Das habe ich doch schon mal gehört!" Und dann steht "Siberia" vor der Tür. "Mensch, wie lange habe ich Dich nicht gesehen? Du hast Dich ja gar nicht verändert", entfährt es einem, und das eigene Alter grinst einen an. Man kennt sich natürlich aus dem Effeff: kristallklarer Gitarrensound zwischen Melancholie à la Chameleons und dem süßem Gitarrenpop der Go-Betweens. Mal wird ein Keyboard wie etwa in "Make us blind" eingeworfen, aber ansonsten ist das Independent Rock wie in der Mitte der Achtziger.
Aber manches mal betrügt einen auch das eigene Gedächtnis: Obwohl man bei Echo & The Bunnymen automatisch an die Achtziger denkt, haben sie die Jahre hindurch ein Album nach dem anderen auf den Markt geworfen. Das aktuelle ist ihr zehntes, auch wenn es vier Jahre seit "Flowers", dem letzten Studioalbum, gedauert hat. Viel ist von der verstrichenen Zeit ist allerdings auf "Siberia" nicht zu merken, was angesichts der mitunter durchwachsenen Alben der letzten Dekade nicht unbedingt schade ist. Bittersüße Hymnen wie "Everything kills you" sollten jedoch junge Damen auch 2005 zum Schmelzen bringen können - man muß ihnen ja nicht erzählen, daß Ian Culloch nur noch bedingt als Bravo-Poster taugt. Und wer bei einem Stück wie dem Titeltrack "Siberia" angesichts der tollen Akustikgitarre nur an Interpols "Say hello to the angels" denkt, dem sei eine Beschäftigung mit den klanglichen Bezugspunkten (nicht nur) dieser unterkühlten Dunkelpopper nahegelegt.
Was eine Band wie Echo & The Bunnymen von manchen ihrer Nachfolger unterscheidet, ist zum einen, daß sie solche Riffs und solchen Gitarreneinsatz wie in "Scissors in the sand" erfunden haben. Zum anderen wissen sie, daß Licht und Schatten zwei Seiten der gleichen Medaille sind: Da wird ein Stück wie "In the margins", daß zutiefst melancholisch beginnt, ohne Bruch ins Positive überführt. Leider klappt die Balance nicht immer so gut: "What if we are?" etwa klingt fast schon klebrig süß. Darüberhinaus werden manchmal auch die Geschichten des besten Freundes langweilig, wenn man sie schon zu oft gehört hat. Auch wenn sie in immer wieder neue Gewänder gekleidet werden. Aber an so manch verregnetem Herbsttag sind eine Tafel Schokolade und ein Glas Rotwein, die man mit einem guten Freund beim Plauschen über alte Geschichten genießt, ohnehin das Beste, was einem passieren kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- In the margins
- Siberia
- Scissors in the sand
Tracklist
- Stormy weather
- All because of you days
- Parthenon drive
- In the margins
- Of a life
- Make us blind
- Everything kills you
- Siberia
- Sideways eight
- Scissors in the sand
- What if we are?
Referenzen
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