Joycehotel - Joycehotel

Make My Day / Al!ve
VÖ: 08.08.2005
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Kopfgeburt

Blättern wir zunächst kurz durchs Booklet: Eine karge Winterlandschaft. Schwarze Striche auf weißem Grund. Ein aufgeschraubter Fernseher, in dem ein kleiner Wicht mit Crash-Test-Dummy-Gesicht hockt. Comic-Stil. Irgendwas fliegt ins All, die Piloten im Flugzeugcockpit sehen es vor sich aufschießen. Zerquetschte Kippen im Aschenbecher. Joycehotel sehen ihr Schaffen als Gesamtkunstwerk. Grafik, Musik und Lyrik tanzen Hand in Hand um das goldene Kalb. Vieles bleibt kryptisch, aber das scheint Absicht. Kunst verweigert sich der simplen Einsicht.

Vielerorts werden Joycehotel als dänische Antwort auf Radiohead und dEUS gehandelt und gefeiert. So finden sich hier auch ungerade Rocker mit schräg schrammelnden Gitarren, dunkle Klavierballaden und zwischendurch fiepsende Elektronik, die ihre Verwandtschaft zu Radioheads letzten Alben, vor allem "Hail to the thief", nicht leugnen. Und auch bei dEUS und der gesamten belgischen Artrockszene haben die vier Dänen ins gehaltvolle Pralinenangebot gegriffen und ordentlich genascht. Vermischt mit anderen Einflüssen und einer Menge eigener Ideen haben Joyce Hotel einen anspruchsvollen Brocken gezimmert. Spröde, dunkel, vielschichtig, mit abrupten dynamischen Wechseln, eigentümlichen Harmoniefolgen und überraschenden Metren. Der Vergleich mit den beiden großen Bands ist allerdings eine schwere Hypothek. Phasenweise scheint es, als wären Joyce Hotel übermotiviert, als wollten sie zu viel auf einmal: Sie sind enorm bemüht, ihre gesamte stilistische Bandbreite vorzuführen, zu beweisen, welche instrumentalen Fähigkeiten sie besitzen, wie verblüffend komplex sie komponieren können.

Wenn man der Spur des Vergleichs noch ein wenig weiter folgt, fallen Joyce Hotel gegenüber den Vorbildern leider doch ein Stück ab: Wo Radiohead oder dEUS bei aller schrägen Verschrobenheit nur selten mit mit großen Melodien und grandiosen Momenten geizen, sind diese bei Joyce Hotel doch leider vergleichsweise spärlich gesät. Daß es die Jungs musikalisch nicht draufhätten, kann ihnen niemand nachsagen. Sie gehen auch in ungeraden Rhythmen spazieren, ohne zu stolpern und beherrschen das Einmaleins ausgetüftelter Arrangements mit dem kleinen Finger.

Doch bei aller musikalischen Luxusausstattung, mit der sie ihr Album bestückt haben, fehlt leider Wesentliches: Melodien, die hängen bleiben und eine charismatische Stimme, die sie trägt. Kaum einer der Songs findet auf Anhieb den Weg ins Ohr. Das Organ von Sänger Kristian Funder hinterläßt seltsam gleichgültig. So anerkennt der Kopf die musikalische Versiertheit, aber das Herz bleibt weitgehend ungerührt. Und selbst bei zigfachen Hördurchgängen ist es mit der Platte wie mit einem teuren, schick gestalteten Feuerzeug mit kaputtem Feuerstein: Man weiß den Wert zu schätzen, aber der Funke will nicht recht zünden.

(Ole Cordsen)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sisher
  • Noon

Tracklist

  1. Sisher
  2. Wpapa
  3. Out only
  4. European amphetamine
  5. Blood monsters
  6. Rid (multitasking)
  7. Ships
  8. Come back to bed
  9. Routine
  10. 38 ghost
  11. The wind
  12. Noon
  13. Take me home and kill me
Gesamtspielzeit: 58:20 min

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