Björk - The music from 'Drawing restraint 9'
Wellhart / One Little Indian / Polydor / UniversalVÖ: 26.07.2005
Lebertran
Wir haben es begriffen. Björk macht Kunst. Das faszinierende "Medúlla" zeigte, zu welchen schöpferischen Leistungen menschliche Stimmbänder in der Lage sein können. Und schaffte es, trotz oder dank eines kompletten Verzichts auf Beats und andere niedere Mittel unerwarteten Pop aus der Luftröhre zu kitzeln. Doch mit derlei Anbiederung an den Feuilleton-Massengeschmack ist erst einmal Schicht. Denn jetzt arbeitet Björk zusammen mit ihrem Kerl. Auch Matthew Barney ist nämlich künstlerisch wertvoll. Doppelt gekünstelt hält besser.
Barney jedenfalls eröffnete kürzlich die "Drawing restraint"-Ausstellung im japanischen Kanazawa. Diese Ausstellung bietet einen Überblick über sein "Drawing restraint"-Projekt, das seit 1987 Malerei, Video, Bildhauerei und Performance vereint. Auf dieser Ausstellung wird auch "Drawing restraint 9" uraufgeführt: ein dialogloser Film mit einer Menge höchst symbolbeladener Darstellung, die kunstvoll gefrierende Vaseline, traditionelle japanische Tee-Zeremonien, nutztiergetriebene Tankwagen und metamorphierende Liebende umfaßt. Beinahe so geradlinig und nachvollziehbar also wie der Inhalt von Björks Kleiderschrank.
Zum zweiten Mal nach dem eindrucksvollen "Selma songs", das ihre Songs für "Dancer in the dark" versammelte, bastelte Björk Musik für einen Film zusammen. Mal schrieb sie dabei ihre verknoteten Harmonien passend zu fertig montierten Bildpassagen, mal schnitt Barney die Szenen zu Björks melodiescheuen Partituren zurecht. Doch wer auf dem Albumcover die auf Kabuki geschminkte Geisha Guðmundsdóttir mit dickem Ölschlauch im Arm sieht, vermutet nicht zu unrecht, daß sich "The music from 'Drawing restraint 9'" noch weiter von westlichen Hörgewohnheiten entfernt, als es Björk ihrem Publikum bislang zumutete.
Apropos Zumutung: Das zerfahrene, zerklirrte und zerklüftete Etwas, das dieser Soundtrack mitunter bietet, ist mit "akustische Geduldsprobe" nur äußerst unzureichend beschrieben. Das mit Will Oldham eigentlich vortrefflich besetzte "Gratitude" traut sich noch nicht allzuviel. Der Waldprinz trägt einen alten Brief an General MacArthur vor, in dem sich ein Japaner namens Shizuka für die Aufhebung des Walfangverbots bedankt. Und läßt sich dabei von den Glöckchen aus "Pagan poetry" beklingeln. So weit, so absurd.
Es geht aber auch in wirklich anstrengend. In "Pearl" klingt Björks Gekeuche und Gegurre wie eine Mischung aus Sexfilmsynchronisation und Kuckucksuhr. Für "Hunter vessel" und "Vessel shimenawa" prallen Holz- und Blechbläser aufeinander, damit Björk ein wenig auf Karajan machen kann. Die Minimalverschiebungen von "Shimenawa" und "Antarctic return" spielen ziemlich genau jene Frequenzen, die Fingernägel auf der Schiefertafel hinterlassen. Das geht runter wie ranziger Lebertran. Ganz besonders übel wird den Gehörgängen, als das überlange "Holographic entrypoint" losgrunzt, als hätte man sich in einen Shinto-Tempel verirrt. Dazu jault ein einsamer Stöckchenschläger derart verzweifelt, als wäre er aus Versehen einem Yakuza auf die Sandale getreten. Das mag ja aufs Vortrefflichste den Traditionen im Land der aufgehenden Sonne entsprechen. Körperliche Schmerzen bereitet es trotzdem.
"The music from 'Drawing restraint 9'" kreuzt Walgesänge mit dem Liebreiz klingonischer Opern. Und zeigt eigentlich nur eines: Björk-Musik ohne Björk taugt nicht. Solche Klangeskapaden irren bei allem gewollten Neuklang so hoffnungslos im Kreis wie ein hospitalistischer Eisbär. Und viel zu selten erinnert sich Björk daran, daß die eigene Stimme tatsächlich singen sollte. Dann klingelt und flirrt und quietscht es nicht nur völlig ziellos durch die Gegend, sondern knüpft an die immerhin okaye Daueresoterik von "Vespertine" an. Und sorgt so für die wenigen echten Blitzlichter. "Bath" juchzt durch ein sanft mißhandeltes Piano. "Storm" zerlegt stimmungsvoll ein paar knirschende Baßlinien. In "Cetacea" proklamiert Björk zu allerlei Glöckchen. "Nature conspires to help you." Ein frommer Wunsch. Aber wer hilft den verirrten Künstlern, die wirklich an solchen Quatsch glauben?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gratitude (Vocal by Will Oldham)
- Storm (Vocal by Björk)
- Cetacea
Tracklist
- Gratitude (Vocal by Will Oldham)
- Pearl (Throat singing by Tagaq)
- Ambergris march
- Bath (Vocal by Björk)
- Hunter vessel
- Shimenawa (Sho by Mayumi Miyata)
- Vessel shimenawa
- Storm (Vocal by Björk)
- Holographic entrypoint (Vocal by Shiro Nomura)
- Cetacea
- Antarctic return (Sho by Mayumi Miyata)
Referenzen
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