Brian Eno - Another day on Earth
Hannibal / Rough TradeVÖ: 04.07.2005
Rundblick
Falls denn einmal die große und wegweisende Pop-Persönlichkeit gewählt werden sollte, hätte Brian Eno sicherlich einiges vorzuweisen: Anfang der Siebziger fröhnte er mit Feder-Boa um den Hals und laszivem Multisex bei Roxy Music dem Glam. Nach dem Bruch mit Kompanion Bryan Ferry mauserte er sich zum Knöpfchendreher im Hintergrund und prägte als Produzent maßgeblich den Sound von Bowie, U2 und den Talking Heads. Auf eigenen Platten widmete er sich Minimal-Elektro-Konzeptionen, hatte großen Anteil an der Erfindung des klangraumaustattenden Ambient-Konzepts und war auf unzähligen Soundtracks vertreten. Ach ja, auch die Windows-95-Startmelodie soll seinem unermüdlichen Frickelhirn entsprungen sein.
Wenn einem also in der weiten Welt da draußen Töne begegnen, könnte gutmöglich Multi-Mastermind Brian Eno irgendwie dahinter stecken. "Another day on Earth", das neue Album des nun bereits 59-jährigen verdient aber insofern Aufmerksamkeit, da sich der technische Virtuose darauf seit über 20 Jahren zum ersten Mal wieder dem Songwriting widmet. Oder es zumindest so scheinen läßt, denn reine Computergeburten sind seine Musikstücke weiterhin. Von wenigen Melodien getragene, endlose Klangnebel, die langsam und zurückhaltend hervorströmen. Warm und hell wie auf "This", orchestral in "How many worlds" oder beladen mit schwerem Ernst in "A long way down". Daß Eno sein Herz noch etwas in den Achtzigern stecken hat, lassen das distanziert-blechige "Under" oder das moderne New-Age-Grundthema in "Caught between" vermuten.
So weit, so bekannt von Enos zahllosen Instrumental-Stücken. Doch in den luftigen Soundlandschaften zeigen sich nun auch faßbare Züge. Einerseits dort, wo Songs nicht mehr ins Nirgendwo abgleiten, sondern fein brav wieder zum Anfangspunkt zurückmarschieren. Andererseits vor allem dort, wo neuerdings Gesang in jedem Stück Identifikationsfläche und Strophe-Refrain-Erkennungswert bietet. Mal als kräftiger Chor oder auch mit des Kreativkopfes eigener Schnodderstimme. Aber auch hier wird meist durch Elektronik verfremdet und ins Klangkleid eingewoben. Man scheint Enos Unwillen gegen herkömmliche Lied-Zutaten förmlich greifen zu können. Nichts soll herrausstechen, alles muß sich harmonisch in die große Komposition eingliedern. Selbst der unebene Frauenmonolog in "Bonebomb" ergibt im Liedganzen einen weiteren Rhythmus.
Der Versuch dieser Pop-Elektro-Symbiose läßt an Radiohead denken. Doch während die Briten von der Rockmusik kommend diese mit immer mehr Elektronik anreichern, versucht Eno die Songstrukturen in seinen Computersound zu integrieren. Wunderschön harmonisch und organisch klingt dies, aber spätestens nach dem Hype um französische Soundtüftler auch allzu vertraut. Bei einem großen Soundtheoretiker wie Eno wird "Another day on Earth" somit kaum zum Fettgedruckten im Curriculum aufsteigen, da scheitert er an den eigenen vergangenen Glanztaten. Aber als ob er's selbst wissen würde, säuselt Eno zum Titeltrack passend: "One day (...) we'll say / That it was just another time on Earth." Eben, heute gefälliger Schall und morgen nur noch entfernter Rauch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- This
- Caught between
- How many worlds
Tracklist
- This
- And then so clear
- A long way down
- Going unconscious
- Caught between
- Passing over
- How many worlds
- Bottomliners
- Just another day
- Under
- Bonebomb
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