Dredg - Catch without arms
Interscope / UniversalVÖ: 27.06.2005
Das Höchste der Gefühle
Unsere Töne. Niedergeschrieben in abertausenden Büchern und Partituren, auseinandergepflückt in Dur und Moll, aufgereiht an einem ganzen Schlüsselbund aus Violinschlüssel, Alt-, Tenor- oder Bassschlüssel. Fünf Linien, auf Papier gezogen, auf denen es sich zahlreiche Knöllchen und Kreise mit Strichen und Fähnchen und gehörigem Sicherheitsabstand bequem machen. Ein ständiges Auf und Ab auf den wackligen Sprossen der Tonleiter. Und doch ist es alles nur graue Theorie. Denn es gibt eine Band, die jeden Rahmen sprengt. Die den Instrumenten und nicht zuletzt den Stimmbändern Töne entlockt, von denen wir nie geahnt hätten, daß die schnöde Akustik sie je in einer solchen Strahlkraft vorgesehen hatte. Es sind keine neuen Töne, sondern die alten in ungehörter Anordnung. Sie sind keine Revolutionäre, sondern Erneuerer von innen heraus. Dredg.
Auf ihrem dritten Album "Catch without arms" erscheint ihre Genialität nachvollziehbarer denn je. Lassen wir die Band selbst sprechen: "Bei 'Catch without arms' haben wir uns mehr auf den Fluß des Albums konzentriert. Es ging nicht darum, seltsam zu sein. Was nicht heißen soll, daß wir es in Zukunft nicht wieder sind." Das stimmt natürlich so nicht ganz. Aber die Vertracktheit der Strukturen ist durchaus in den Hintergrund gerückt, mit ihr alle andere Seltsamkeit. Und man muß schon tief schürfen, genau hinhören, um zu bemerken, daß nichts ist, wie es scheint. Und der schöne Schein geht nun mal zunächst von Gavin Hayes Gesang aus. Die Instrumente leuchten wie Scheinwerfer auf ihn. Wenn er mit unglaublicher Stimme unglaubliche Melodiebögen vorträgt, wie wir sie von keiner Band vorher gehört hatten.
Ja, die Unkenrufe haben recht behalten. "Catch without arms" ist äußerst poppig geworden. Aber auch nur, wenn man Eingängigkeit als Maßstab heranzieht. Unmittelbarer als "Catch without arms" kann ein Album wohl nicht Kopf, Herz und Seele ansprechen. Die Elefanten in den Deltawellen sind auf "El cielo" gut aufgehoben und werden hier nicht gebraucht. Die Eskapaden, die sich Dredg aber immerhin noch geleistet haben, sind das anspruchsvolle, wieder völlig verspulte Artwork sowie das Splitten des Albums in zwei Teile: "Pespective I" für Track eins bis sieben, "Perspective II" für den Rest. Es gehe um Kontraste, und den Übergang liefert ein unwirkliches Gegacker aus Stimmengewirr und furchterregenden Maschinengeräuschen. Dann läutet "Planting seeds" die Zukunft ein, indem es innerhalb eines Songs jene zwei Seiten einer Geschichte erzählt. Es ist keine glückliche, und es gibt auch kein Happy End: "Forever we are changed / We have just set out on a brand new race / Can we keep the pace? / I can't believe what we have become / I'll leave without a trace."
Es ist die Symbiose aus Glück und Unglück, die tief berührt. Und wenn das Album überhaupt eine Schwäche zeigt, dann ist es die Tatsache, daß nicht alle Songs mit den Highlights Schritt halten können. Die größten Meisterleistungen von "Catch without arms" jedoch stecken sogar alles auf "El cielo" in die Tasche, dagegen muß ein so schüchterner Song wie "Sang real" natürlich verblassen. "Bug eyes" beispielsweise setzt mit seinen tausend Facetten der "Of the room"-Glanztat die Krone auf, wohl das eindrucksvollste Exempel für die Anmut von Dredg 2005. Die von Abgründen trotzdem nicht frei ist. Aber das erschließt sich erst nach und nach. "Your journey back to birth is haunting you / Departure from the earth is haunting you." Ähnlich ambivalent soll das zarte, nach den vielschichtigen russischen Holzpuppen benannte "Matroshka" mit seinen U2-Sounds als Metapher für das gesamte Weltbild stehen. "Look another year went by / They keep passing by / God damn I didn't even die." Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Nur müssen sie, die Hoffnung, und wir, die Menschen mit ihr, viele, viele Prüfungen bestehen. "That's what happens when you compromise your art", singt Hayes. Und schreibt im Textbuch noch ein "heart" in Klammern dahinter. Das Leben steckt voller persönlicher Fehler. Und alle, die je gemacht wurden, verfolgen Dich, sind Dir dicht auf den Fersen, lassen Dich nicht los. Auch wenn Du sie ständig verdrängst. So ist auch "Catch without arms" nicht der Ausdruck reiner Makellosigkeit, für den man ihn zunächst halten möchte. Sondern ein abgründiger Psycho-Trip. "Let the demons have their place... If so it's angels you'll create", steht vielsagend im Booklet, das als Schatzsuche angekündigt wurde. Nicht mit uns. Es liegt schließlich in unserer Natur, die schönen Dinge zu fokussieren und die anderen zu verdrängen. Lauschen wir also weiter mit offenem Mund einem so unglaublichen wie unwirklichen Album, saugen dessen Schönheit in uns auf. Und blicken durch die bösen Geister hindurch. Soll sich doch ein anderer um die kümmern.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Bug eyes
- Catch without arms
- Planting seeds
- Matroshka (The ornament)
Tracklist
- Ode to the sun
- Bug eyes
- Catch without arms
- Not that simple
- Zebraskin
- The tanbark is hot lava
- Sang real
- Planting seeds
- Spitshine
- Jamais vu
- Hung over on a tuesday
- Matroshka (The ornament)
- Uplifting news
Im Forum kommentieren
Jaggy Snake
2023-10-26 23:23:57
Mir gefällt die negative Stimmung hier ganz und gar nicht. Verzieht euch gefälligst in andere Threads, ihr gefühllosen Nörgler :D
Bonzo
2023-10-26 20:54:43
Die Stimme kann ich auch nicht mehr länger als 2 Songs ertragen.
Hoschi
2023-10-26 20:54:16
El Cielo ist auch für mich absolut zeitlos.
Erst vergangenen Woche wieder angehört. Da staubt gar nix.
Das gilt allerdings nicht für die drei Nachfolger.
Pariah geht noch aber catch langweilt mich zum Großteil leider mittlerweile.
Und Chuckles.... Lassen wir das :)
Huhn vom Hof
2023-10-26 20:37:17
"El Cielo" ist IMHO ein zeitloses Meisterwerk.
keenan
2023-10-26 17:04:02
für mich ein zeitloses album :-)
selbst der nachfolger ppd
überraschenderweise hat el cielo doch staub angesetzt und die platte ist mittlerweile lediglich platz 3 bei mir
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