The Mountain Goats - The sunset tree

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 02.05.2005
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Befreiungsschlag

An dieser Stelle führt kein Weg daran vorbei, daß der Rezensent zum Chronisten wird. Denn die Zeit der Depression ist vorbei. Kreative Aggression bricht sich Bahn. Die Gründe liegen in John Darnielles Biographie begründet. Daß der Mastermind der Mountain Goats das aktuelle Album allen jungen Menschen widmet, die unter Mißbrauch in der Familie leiden oder litten, ihnen Mut zuspricht, kommt nicht von ungefähr. In den Liner Notes erwähnt Darnielle seinen kürzlich verstorbenen Stiefvater, der die Songs auf "The sunset tree" erst möglich gemacht habe. Ist das Zynismus? Eine psychologische Binsenweisheit besagt, daß Darüber-Reden der erste Schritt zur Verarbeitung ist. "I am gonna make it through this year - if it kills me."

Alle Larmoyanz und Niedergeschlagenheit ist gewichen aus den Songs des Vielschreibers. Die immer schon vorhandene Intensität erreicht eine neue Qualität, indem sie sich mit Unbändigkeit und großer Bestimmtheit paart. Aufgenommen wurde das Album in den Prairie Sun Studios, wo auch schon so manch Song des großen Tom Waits das Licht der Welt erblickt hat. Baßmann Peter Hughes ist mittlerweile zum zweiten festen Bestandteil des vormaligen Ein-Mann-Projektes geworden, und dennoch scheint jeder einzelne Ton, jede Textzeile direkt aus dem Herzen dieses John Darnielle geschleudert zu werden.

Gänzlich ohne Lagerfeuergeschrammel kam schon das vorab als Single veröffentlichte "Dilaudid" aus. Nur ein Cello, einige Störgeräusche sowie höchst dramatischer Sprechgesang - fertig ist die neue Welt der Mountain Goats. Eine Welt voller Aufforderungen, voller Tiraden und Beinahe-Predigten ohne jeglichen Glaubensbezug. Sehr schön ist in diesem Zusammenhang auch "Dance music", das vordergründig vielleicht fröhlichste Lied dieser Veröffentlichung. Locker fließt die Melodie, ein Klavier perlt, die akustische Gitarre kennt nur eine Richtung: vorwärts. Allein es erzählt die Geschichte des kleinen John, der, immer wenn zu Hause die Fetzen flogen, in seinem Zimmer die Anlage aufdrehte mit lauter Tanzmusik - bis die Polizei kam. Daß ein weiteres Higlight unter den 13 Songs der diebischen Elster gewidmet ist, verwundert da nicht. Ob ihm dabei Bruegels Gemälde "Die Elster auf dem Galgen" Anlaß zu "Magpie" war, sei dahingestellt. Doch live im Studio eingespielt, mit Mandoline, Tambourin und Klavier, entwickelt das Stück eine eigentümlich altertümliche Atmosphäre, die der Stimme John Darnielles den richtigen Rahmen gibt: mystisch, tief und geheimnisvoll.

Das Schlüsselstück dieser Familientherapie ist allerdings das sehr komplexe "This year". Eine Aufbruchsode, ein Mutmachlied, ein Song mit einer Botschaft: Egal, ob Du scheiterst, wichtig ist der Versuch. Das klingt zwar nach uramerikanischem "Sorge Dich nicht, lebe", ist aber viel mehr als das. Der seelische Morast ist erkennbar tief und das Scheitern eine nicht unwahrscheinliche Option. Wären die Inhalte mehr politisch als so eindeutig und offenherzig persönlich, im Vortrag erinnerte Einiges an Billy Bragg. Doch so hinkt der Vergleich, denn John Darnielle bezieht alle seine Überzeugungskraft aus der niemals verletzenden, aber stets völlig verletzlichen Offenlegung von Wunden. Meist der eigenen. "Never lose hope", lautet sein Credo.

(Joerg Utecht)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • This year
  • Dilaudid
  • Lion's teeth
  • Magpie

Tracklist

  1. You or your memory
  2. Broom people
  3. This year
  4. Dilaudid
  5. Dance music
  6. Dinu Lipatti's bones
  7. Up the wolves
  8. Lion's teeth
  9. Hast thou considered the tetrapod
  10. Magpie
  11. Song for Dennis Brown
  12. Love love love
  13. Pale green things
Gesamtspielzeit: 39:41 min

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