Eels - Blinking lights and other revelations
Vagrant / UniversalVÖ: 25.04.2005
About E
Mark Oliver Everett ist der letzte seiner Familie. Mutter, Vater, Geschwister - der Mann, den sie E nennen, hat alle überlebt. Längst hätte er sich von der nächsten Brücke gestürzt, wenn er nicht die Musik hätte, sagt E selbst. Den gleichen Ausweg aus der Quizshow namens Leben genommen, den seine Schwester schon vor Jahren gewählt hat. Und die Sache ist: Er meint das auch so. Nicht mit dem garstigen Zynismus, an den wir uns so gerne gewöhnt haben in den letzten zehn Jahren. Und den zum Beispiel auch die Publisher der Kurt-Cobain-Memoiren zu spüren bekommen haben, als sie E um einen druckreifen Kommentar für ihr Buch baten. Die Rolle, die der Tod in seinem Leben gespielt hat, ist dafür schon immer viel zu bedeutend gewesen.
"Please don't do this to me after I kill myself" hatte E dem Verlag damals vordiktiert. Und wer nun möchte, kann seine sechste Eels-Platte "Blinking lights and other revelations" auch tatsächlich wie einen Abschiedsbrief lesen. Ein Doppelalbum ist sie geworden, als müßte nochmal gesondert unterstrichen werden: "Hier ist mein definitives Statement!!!" Auf dem Cover ist Es Mutter als junges Mädchen zu sehen, im Booklet sind überall Kindheitsfotos und Bilder verstorbener Angehöriger. E hat jahrelang an dieser Platte geschrieben, sein letztes Album "Shootenanny!" quasi kurzfristig dazwischen geschoben, um sich von den "Blinking lights and other revelations"-Aufnahmen zu erholen. Und am Ende der 33 Stücke steht mit "Things the grandchildren should know" tatsächlich so etwas wie ein letzter großer Abgesang. Auf das eigene Dasein.
In Wahrheit ist es aber so: E nennt das Album "A love letter to life in all its beautiful, horrible glory." Und wer sich reinhört, kann da tatsächlich vieles entdecken, was das Leben so ausmacht. Enttäuschungen, Zurückweisungen, Unglücksfälle. Aber eben auch Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen. Und niemals Resignation. Die Straßenparty von "Hey man (Now you're really living)", die Schwerelosigkeit von "Losing streak" - regelrechte Lebensfreude in Drei-Minuten-Rationen. Und daß "Blinking lights and other revelations" außerdem längst nicht so pompös und prunkvoll klingt, wie man das von Doppelalben immer erwartet, kommt der Sache sowieso entgegen. Dieses Album ist alles. Nur keine einseitige Schicksalsabrechnung.
Zunächst fällt der skizzenhafte Charakter vieler Songs auf. E hat offenbar wenig Lust gehabt, "richtige" Hits, geschweige denn Refrains zu schreiben. Lieber klimpert er sich immer wieder durch kleine Interludes, singt sparsam instrumentierte Miniaturen und formuliert nur wenige Songideen bis ins letzte Detail aus. "Going fetal" zum Beispiel wird zum windschiefen Gekratze und Gezerre, durch das sich auch noch Gastredner und Eels-Fan Tom Waits hindurchknurrt. Das konzentrierte "Trouble with dreams" übt Geisterbeschwörung mit gespenstischen Doors-Orgeln. Dem dramatischen "The other shoe" weht eine ungewöhnlich steife Brise ins Gesicht. Und für "To lick your boots" kam R.E.M.-Gitarrist Peter Buck mit einem Koffer voll Saiteninstrumente vorbei.
Der Fokus liegt bis zum Schluß trotzdem auf den Kleinigkeiten. Bei gut beobachteten Randerscheinungen wie dem süß-sauren "Railroad man". Einfach gehaltenen Klavierballaden, die "Suicide life" oder "Ugly love" heißen. Und immer wieder auch bei Streichern und Bläsern, mit denen E so sensibel und gefühlvoll umgeht, daß sie ihm niemals einen Song kaputt machen könnten. Die gedämpfte Beerdigungskapelle in "Son of a bitch" ist ein Sieg des Subtilen. Und "If you see Natalie" hätte auch Burt Bacharach nicht empfindsamer arrangieren können. Weil E tatsächlich alles in diese Platte reingesteckt hat, was er geben konnte. Die vielen Jahre, all die Geschichten, sein ganzes Leben. Ein definitives Statement. Und vielleicht auch sein schönstes.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Trouble with dreams
- Mother Mary
- Going fetal
- Old shit / New shit
- If you see Natalie
- Things the grandchildren should know
Tracklist
- CD 1
- Theme from blinking lights
- From which I came / A magic world
- Son of a bitch
- Blinking lights (For me)
- Trouble with dreams
- Marie floating over the backyard
- Suicide life
- In the yard, behind the church
- Railroad man
- The other shoe
- Last time we spoke
- Mother Mary
- Going fetal
- Understanding salesman
- Theme for a pretty girl that makes you believe god exists
- Checkout blues
- Blinking lights (For you)
- CD 2
- Dust of ages
- Old shit / New shit
- Bride of theme from blinking lights
- Hey man (Now you're really living)
- I'm going to stop pretending that I didn't break your heart
- To lick your boots
- If you see Natalie
- Sweet li'l thing
- Dusk: A peach in the orchard
- Whatever happened to soy bomb
- Ugly love
- God's silence
- Losing streak
- Last days of my bitter heart
- The stars shine in the sky tonight
- Things the grandchildren should know
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The MACHINA of God
2024-10-06 15:41:33
Beende grad wieder die Autobiographie und da gehört das Album natürlich dazu. Wunderbar. Die 8,4/10 von oben würde ich auf gesamte Sicht wohl nicht geben, aber ne stabile 8/10 allemal.
The MACHINA of God
2021-01-14 11:51:23
Dann schnell auch die Alben danach nachholen
Ich kenn im Prinzip alle Alben, wenn auch die späteren nach "Blinking lights" nicht so gut. Aber ich würde mich durch das Buch gern mal wieder tief in die Diskographie hören. War gestern sehr überrascht, wie toll mir das Album doch gefällt.
Highlights:
"A magic world" ist neben "PS you rock my world" wohl mein Eeels-Liebling überhaupt, "In the yard, behind the church" kommt auf Platz 2, ansonsten gefallen mir besonders "The other shoe", "Hey man", "Soy bomb" und das leichte "Losing streak". 8,4/10
jo
2021-01-14 08:53:12
Und dann auch unbedingt die Doku mit E auf den Spuren seines Vaters schauen!
myx
2021-01-14 07:52:19
Sehe ich wie jo, wirklich ein tolles Buch, das am Ende ja quasi in die "Blinking Lights" mündet und wo dann - ich will nicht zu viel spoilern - die neue Sicht von E auf seinen Vater die Hauptrolle spielt. Viel Spass mit Buch und Band!
Peacetrail
2021-01-14 07:50:46
Eels ist so ne Band, bei der das gesamte Spektrum am Ende doch größer ist als man vermutet und wo jeder was findet. Ich mag das Debüt, Shootenanny, Tomorrow morning und Wonderful glorious am liebsten.
End Times und The C Tales of MOE finde ich extrem lahm, kann das aber nicht richtig festmachen und Ihr werdet es vielleicht anders sehen.
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