Absynthe Minded - Acquired taste

Keremos / Al!ve
VÖ: 14.02.2005

Everybody's weird

Kann man auf dem schmalen Grat zwischen Kreativität und Konfusion tanzen? Man kann. Und wie. Beweis gefällig? Absynthe Minded setzen sich in Bewegung, setzen Dich in Bewegung. "Acquired Taste" ist alles, was man sich so wünscht. Ein Album wie ein Bienenstock, mit mehr Ideen als Minuten. Ein Album, das den Jazz geatmet, den Rock gelebt, den Blues gefühlt und die Sporen bekommen hat. Wer jemals auf einer Rasierklinge geritten ist, hat einen ungefähren Eindruck von dem, was ihn erwartet. Songs wie "People of the pavement" können nicht einfach mal ruhig stehenbleiben, sie müssen tänzeln. Die Platte fällt nicht nur mit der Tür ins Haus, sie reißt direkt die ganze Frontseite nieder. Man kann sich nicht wehren; aber warum sollte man es auch wollen?

Wenn "Suds & soda" mit Bier gemischt wird und Gemälde auf Hochzeitskleider gekleckst werden, dann - ja, dann! - sind wir in Belgien. Daß Absynthe Minded von hier kommen, ist bereits nach den ersten Klängen von "I am a fan" sonnenklar. In der Grauzone zwischen Jazz und Pop wandelt die Band Seite an Seite mit den großen Kreativen von dEUS bis Zita Swoon. Aber: Wer "Plagiat" grunzt, hat den Witz nicht verstanden. Und wer es wagt, den ersten Stein zu schmeißen, der trifft garantiert die Falschen. Das großartige Chaos dieser Platte zersägt die Realität in kleine Scheiben, und wenn der kreative Overkill auch seine klaren Koordinaten besitzt, dann tut dies doch der Musik nur gut.

Wie ein Stier inmitten eines Meers roter Fahnen: Absynthe Minded betreiben Reizüberflutung im großen Stil. Und daß die Band bei aller Hibbeligkeit am Ende doch als Souverän über ihre Ideen obsiegt, daß bei aller Hektik der rote Faden sich nie verwickelt, dies darf als Sieg des Ganzen über seine einzelnen Teile gewertet werden. Schillernde Virtuosität ist das Element, das die auseinanderstrebenen Momente beisammen hält. Bert Ostyn, Kopf der Gruppe und kreativer Strippenzieher, hält seine Schäfchen bei allem Wolfspielen letztendlich doch am Gängelband. Er inszeniert den Ausbruch, er orchestriert die Dramatik, aber er kennt eben auch den Weg zurück. Der Sturm endet, die Münder stehen offen, es hätte nichts passiert sein müssen, aber es ist passiert. Nur ein Wunsch bleibt zurück: Nochmal hören, mehr davon!

(Thorsten Thiel)

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