Bright Eyes - Digital ash in a digital urn
Saddle Creek / IndigoVÖ: 24.01.2005
Use your illusion
Da steckt man nicht drin. Und findet es irgendwie auch besser so. Denn Conor Oberst ist bekanntlich ein Spinner, ein waschechter, aber einer im absolut liebenswerten Sinne. Auf jedem zweiten Album, das aus Omaha und der näheren Umgebung stammt, ist er zu hören, entweder persönlich oder als geistiger Vater. Und zwischendrin spielt er mit "I'm wide awake it's morning" ein hellhöriges Folk-Album ein. Aber wenn da noch mehr ist, das raus will? Was machen, wenn mehr Energie und Inspiration, Zaubereien und Kindereien schwelen, als auf eine Platte passen würden? Klar, eine zweite. Hier ist er, der lange herbeigesehnte zweieiige Zwilling, von Geburt an getrennt in verschiedene CD-Hüllen. Und Bright Eyes ist der vielleicht erste Acts seit Guns N' Roses, der zurecht mehrere Alben parallel veröffentlichen darf. Zwei unterschiedliche Welten, jede für sich erlebbar.
Eine Tür öffnet sich. Dann eine weitere. Jemand schreitet einen langen Gang entlang. Ganz aus der Nähe dringt unterdrücktes, atemloses Schnauben; ein Geräusch, in dem mehr nackte Angst steckt als in jedem lauten Schrei. Ein Schlüsselbund klimpert. Jemand rennt weg. Wieder eine Tür. Immer lauteres Keuchen. Herzklopfen. Es pocht und pocht und verwandelt sich langsam zu einer Melodie, zu einem Hauch von Sicherheit. Jemand wispert beruhigende Verse. "Don't talk, don't talk!" Dann bricht alles herein. Ein peitschendes Schlagen, Sprachfetzen, Kinderstimmen, Glockenschlag, gespenstische Gischt. Schreie. Schnaufen. Tick tack tick tack. Klingelingeling. Aufwachen. Dann ist Stille.
Vier Minuten Selbstversuch mit dem Kopfhörer und "Time code". Etwas, das andere vielleicht "Intro" nennen würden, in das hingegen Bright Eyes mehr schöpferische Kraft stecken, als andere in ein ganzes Album. Und das auch die Richtung vorgibt, die man von "Digital ash in a digital urn" im Gegensatz zu jenem Folk-Album zu erwarten hat: einen Rausch der Sinne, einen akustischen Bildersturm in allen Farben und Formen. Im Vorfeld hörte man von einem Pop-Album, und das ist es, wahrhaftig, aber nach dem Verständnis des Conor Oberst. Klaustrophobie in unendlichen Weiten. Er spannt den ganz großen Bogen, lädt zum Schunkeln, Wippen, Mitsingen, Pfeifen ein. Bis man am Ende doch mittendrin ist im beengenden Hirn des Conor Oberst. Und sich bange fragt, wieso man die Reiserücktrittsversicherung nicht abgeschlossen hat.
"Digital ash in a digital urn" spart an nichts, zuallerletzt an Gästen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wieviele Gegenbesuche noch ausstanden, mehr vermutlich, als auf zwei Alben passen würden. Die Unterstützung der Labelmates Andy LeMaster (Now It's Overhead) und Clark Baechle (The Faint) war natürlich nur Formsache. Dazu spielt Nick Zinner von den Yeah Yeah Yeahs auf dem halben Album Gitarre und Keyboards, flötet sich Jiha Lee (Ex-The Good Life) einen Wolf und raunt wie üblich Maria Taylor (Azure Ray) im Hintergrund betörend vor sich hin. Und Produzent Mike Mogis bedient all jene Instrumente, die Conor Oberst nicht beherrscht.
Entscheidend ist aber immer noch das Ergebnis. Und das ist abgesehen von der Vorabsingle "Take it easy (Love nothing)", bei der unüberhörbar Jimmy Tamborello (The Postal Service) die Knöpfe drückt, absolut Bright Eyes. "Gold mine gutted" bietet vom Titel angefangen eine wunderbare Ernüchterung und propagiert den "nice clean cut", mitten ins Fleisch. "Down in a rabbit hole" spielt höllisch im Wunderland, "I believe in symmetry" probt die große Sause, bevor sich "Devil in the details" und "Theme from Pinata" verlieren, irgendwo. "Arc of time" hingegen stolpert mit abgehackten Beats von Falle zu Falle und kommt zur wenig erquicklichen Konklusion: "You'd die, die, die die! / You'd die, die, die, die! / You'd die, die, die, die! / You'd die, die, die!" Friede, Freude, unheile Welt.
Die meisten wahren Fans werden sicher "I'm wide awake it's morning" bevorzugen, weil es argloser die Psychosen des Conor Oberst offenbart. "Digital ash in a digital urn" hingegen ist das Album für all jene, die den Mann nie leiden konnten und sich vom Gegenteil überzeugen lassen wollen. Ein Sammelsurium an Ideen, alles andere als spontan und etwas, an dem man in jeder Hinsicht lange zu knabbern hat. Ein musikalischer Akt, wie die Drohgebärde der Biene, die auf dem Cover den digitalen Nektar saugt und den Stachel schärft. Peitsche und Zuckerbrot. Kurzum: ein Honigschlecken.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gold mine gutted
- Take it easy (Love nothing)
- I believe in symmetry
- Light pollution
Tracklist
- Time code
- Gold mine gutted
- Arc of time
- Down in a rabbit hole
- Take it easy (Love nothing)
- Hit the switch
- I believe in symmetry
- Devil in the details
- Ship in a bottle
- Light pollution
- Theme from Pinata
- Easy/lucky/free
Referenzen
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