CocoRosie - La maison de mon rêve

Touch & Go / Cargo
VÖ: 05.04.2004
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Badewannenblues

Mit dem Erscheinen dieser Platte im April letzten Jahres ist ein Prozeß der Legendenbildung in Gang gesetzt worden, der es schwer macht, den werten Lesern gesicherte Fakten über die Menschen hinter dem Namen CocoRosie zu liefern. Soviel allerdings scheint klar und läßt sich auch unschwer mittels Gehör erschließen: Zwei amerikanische Frauen saßen in ihrer Wohnung, versuchten die Eruption von Kreativität, die sich in ihnen anbahnte, zu kanalisieren, überlegten sich ein paar Melodiefragmente und kombinierten diese mit Eintragungen aus alten Poesiealben. Zur Umsetzung des Ganzen verwendeten sie das Instrumentarium, welches sich in Küche und Wohnzimmer anbot: ob Kaffeemaschine oder Popcorntopf, knallender Sektkorken samt übersprudelndem Inhalt der zugehörigen Flasche bis zum an die Scheibe klatschenden Regen. Dies kombinierten die beiden mit allem, was ihre Stimmen hergaben, wobei eine ganze Menge verschrobener Hörherausforderungen zusammenkamen.

Womit wir auf der Schwelle zum Land der Sagen und Gerüchte sind. Denn die eine Stimme klingt bisweilen wie einer auf Schellack gebannten Bluesaufnahme aus den Zwanzigern entsprungen. Und richtig: Die Dame, die sich Sierra Cassidy nennt, hat eine Sozialisation als Gospel- und Spiritual-Sängerin hinter sich und somit Mut zur stimmlich großen Geste. Zusammen mit ihrer angeblichen Schwester Bianca mimt sie in Fotosessions das Cabaret-Girl aus eben jener Zeit. Bianca hingegen ist die "Intellektuelle", studierte allerlei Geisteswissenschaften und machte Musik allenfalls unter der Dusche. Die Legende geht dann so: Die eine der beiden lebt für eine Weile im 18. Arrondissement von Paris, wird unweigerlich von der anderen besucht, und fortan verließen beide das Appartment für acht Monate nicht mehr.

Denn genau so lange brauchten sie, um diese krude Mischung aus Versatzstücken von HipHop und Blues mit ihren Alltagssamples zu kombinieren, Gitarren- und Flötenspiel-Kenntnisse aus der Musikschulzeit hervorzukramen und darüber fröhlich drauflos zu trällern. Dabei wechseln sich Abstrusitäten mit Ironiegeschwängertem, Gedankenflüsse mit schlicht Naiv-Kindlichem ab. Ob wie in "By your side" das Fazit "All I want with my life / Is to be a housewife" ist oder es aber beim "Tahiti rain song" latent dadaistisch wird: "Infinity whispered to me / A mumble so dreamy / A soft sound so creamy / So dreamy, so dreamy". Desweiteren wird hemmungs- und scheinbar wahllos durch die europäische Kulturgeschichte gewildert (Erwähnung finden folgende Menschen, in genau dieser Reihenfolge: Hitler, Freud, Rilke, Rimbaud, Morrison.

"La maison de mon rêve" ist, auch mit dem Abstand von über einem halben Jahr nach Erscheinen, ein erfrischend kopfloses Album. CocoRosie hüpfen vom ersten bis zum letzten Ton aus jeder Schublade, in die man sie gerade stecken will, kraftvoll und laut lachend wieder heraus. Wahrscheinlich sitzen die beiden Damen in diesem Moment in einem New Yorker Loft, hören alte Bigband-Platten und versuchen deren Sound mit Detroiter Acid-House aus den Achtzigern zu arrangieren. Dazu trainieren sie ihre Stimmen möglicherweise in der Kunst der Obertongesangs. Zuzutrauen wär es ihnen.

(Joerg Utecht)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Terrible angels
  • Jesus loves me

Tracklist

  1. Terrible angels
  2. By your side
  3. Jesus loves me
  4. Good friday
  5. Not for sale
  6. Tahiti rain song
  7. Candyland
  8. Butterscotch
  9. West side
  10. Madonna
  11. Hatian love songs
  12. Lyla
Gesamtspielzeit: 41:01 min

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