Tom Liwa - Dudajim
Normal / IndigoVÖ: 13.09.2004
Großer Onkel
Tom Liwa zählt zu den Menschen, denen man ohne weiteres zutrauen würde, daß sie einen nachts an der Hotelbar ansprechen. "Ich war mal berühmt", würde er einem erzählen und berichten von den Zeiten, als die Flowerpornoes die Großen im deutschsprachigen Indierock waren - lange vor Tocotronic, Tomte oder gar Wir Sind Helden. Damals, auf der sonnigen Seite der Straße, am Meer, in unseren Köpfen und Stereoanlagen. Dann kam das Ende der Band und ein Solodebüt, auf das nichts mehr hätte folgen können: "St. Amour", das beste deutschsprachige Album seiner Zeit. Und was folgte, ließ auch den Schluß nahe, daß Liwa auf dem absteigenden Ast sei. Zuletzt "Two originals" ein Doppelalbum - halb Akustikgitarre, halb Hardcore. Liwa war da angekommen, wo man entweder für genial oder verrückt gehalten wird. Aber er hat sich wie üblich nicht um das Gerede der anderen geschert.
Mit "Dudajim" ist er wieder dort, wo ihm nicht nur die eingeschworenen Fans zu Boden liegen. Er wird mit diesem entspannten Folkpop (bei diesem Wort würde er wohl die Bar wieder verlassen) auch neue Anhänger gewinnen können. Es sei denn, die Interessenten haben angesichts solch esoterischer Liedtitel wie "Katzenfell", "Myrrhe", "Frau mit nackten Füßen" oder "Herz des Himmels" längst die Flucht angetreten. Zugegeben, das hat mehr mit Bioladen zu tun als mit Indierock, und auf dem Kirchentag ist Tom Liwa ja auch schon aufgetreten. Dort war allerdings auch Henning Wehland von den H-BlockX zugegen, und der wartet ja wohl auch noch ewig auf die Erleuchtung. Aber sparen wir uns den Sarkasmus hören wir dem Mann zu.
"Ich seh durch die Sterne / Über das Meer / Ich seh durch die Zeiten / Ich bin ein Aer" - Aha, das wirft Fragen auf: "Wo kommt er her? / Ist er der, auf den wir solang gewartet haben?" Aber auch: Halten die Lieder etwa doch, was die Titel androhen? "Dudajim" ist ein esoterisches, schon fast spirituelles Album. Allein der Titel lädt zur Meditation über seine Bedeutung ein, ist "Dudajim" doch die hebräische Bezeichnung der Alraune, bedeutet aber auch doppelte Liebe. Und derlei Geschwurbel mag man halt entweder, oder man kriegt davon Aggressionsschübe und möchte als nächstes einen Waldorfkindergarten mit Sojaöl überschütten und anzünden.
Musikalisch kann man der Platte wenig vorwerfen. Mit der Akkustikgitarre in der Hand und einer zurückhaltenden Band im Rücken tänzeln die Songs irgendwo zwischen Yo La Tengo und Mojave 3 durch die warme Sommernacht. Einzig die Abwechslung bei den 19 Songs läßt dann doch zu wünschen übrig - bis bei "Licorice" dann Holzhammer und E-Gitarre hervorgeholt werden. Natürlich, Liwa will nicht kommerziell sein, will keine Popsongs machen. Da wir aber seit "St. Amour" wissen, wie gut er das kann, würden wir uns ebensolche wünschen. Vor allem aber kann man mit den Texten so wenig anfangen. Vorbei sind die Zeiten, als er einem mit "Liane", "Für die linke Spur zu langsam" oder "Julianastraat" die Worte aus dem Mund nahm - ohne daß man so recht wußte, wovon er da eigentlich sang. Irgendwie sind die Texte auf der einen Seite so abstrakt und auf der anderen so konkret geworden, daß man damit nichts mehr anzufangen weiß.
Liwa hat zu sich selbst gefunden, hat sich das Rauchen abgewöhnt und ist ausgeglichener geworden. Vielleicht stimmt es tatsächlich, daß nur traurige Musiker gute Platten machen können. "Dudajim" ist vermutlich keine schlechte Platte. Man muß sich darauf einlassen. Ob das jedem gelingen wird, ist die Frage. Am Ende bleibt aber doch ein wohliges Gefühl und die Erinnerung an all das, was man mit Liwas Stimme und seinen Songs verbindet.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Aer
- Sophia
- Herz des Himmels
Tracklist
- Aer
- Traumdeuter
- Die Drachen von Eden
- Exil
- Katzenfell
- Meine weiliche Seite
- Myrrhe
- Nachsommer
- Sophia
- Yerba
- Zuma
- Hühnchen ohne Federn
- Frau mit nackten Füßen
- Herz des Himmels
- Zwei Schwestern
- U.a. chinesischer Zirkus
- Licorice
- It's all about love
- Zither
Referenzen
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