Björk - Medúlla
One Little Indian / Polydor / UniversalVÖ: 30.09.2004
Stimmgerät
Leicht. Unbeschwert. Unkompliziert. Diese Vokabeln in Verbindung mit Björk zu bringen, dürfte ein sinnloses Unterfangen sein. Wer nach dem esoterisch-introvertierten Durchhänger "Vespertine" noch Hoffnung hatte, die Isländerin könnte die lange Kurve um den Pop herum doch noch irgendwie kriegen, darf den Fall Björk mit "Medúlla" endgültig abhaken. Allein schon das Konzept: Mitten im Aufnahmeprozeß überkam Frau Guðmundsdóttir die Inspiration, die Musik für ihr fünftes Album ausschließlich mit Vokalartistik zu bestreiten. Und so sind so ziemlich alle der zu vernehmenden Klänge auf menschliche Stimmbänder zurückzuführen. Dazu ein paar instrumentale Reste vom Klavier oder das eine oder andere liegengebliebene Sample. Der Rest wurde rigoros entsorgt.
Übrig blieb Björk in Reinkultur. Was immer man auch für ihre Stärken oder für lästiges Klischee halten mag: Man wird es auf "Medúlla" finden. Aber auf gänzlich unerwartete Weise. Die ausladendenden Melodieverästelungen, die zerstoßenen Harmoniekluften, die absurden Juchzer und sogar die sich verheddernden Beatschlaufen und unweltlich knarzenden Störgeräusche sind allesamt hand- bzw. mundgemacht. Dabei zerfranst Björk die Stimmen immer wieder mit Mausklicks, verfremdet Gehechel und Geraune bis zur Kaumnochkenntlichkeit und copy-und-pastet sich selbst in ein Meer aus wogender Kehlkopfakrobatik.
Das A-Capella-Konzept erscheint Björk während der Aufnahmen als ein absolut logischer Schritt, auch wenn mancher eine Schwerkraft hinterfragen wird, die es ihr erlaubt, derart von üblichen Hörgewohnheiten davonzuschweben. Getragen vom eigenen Anspruch und einer Wagenladung Gleichgesinnter. Mike Stent, Matmos und Múms Valgeir Sigurdsson helfen bei den Stimm-Oszillationen, bei denen mitunter ganzer Chöre in den Laptop zu schaufeln sind. Für das schlaufenreiche Donnern von "Who is it" kitzelt Ex-Roots-Beatbox Rahzel seinen Gaumen, in "Submarine" blubbert Altmeister Robert Wyatt durchs Periskop, "Ancestors" bringt mit schamanischem Hyperventilieren die Altvorderen zur Rotation, und in "Where is the line?" gibt Mike Patton mal wieder den Teufel. Es blubbert und kocht wie Schwefelsuppe. Ohne künstliche Konservierungsstoffe.
Doch der Fehdehandschuh gegen so profane Dinge wie Songstruktur und eingängige Melodien ist "Medúlla" ebensowenig geworden wie die völlige Abkehr von der eigenen, kurvenreichen Tradition. Ehe man sich verhört, schält sich aus dem vermeintlich enervierenden Singsang das Verständnis für die Veränderung der Künstlerin als innere Notwendigkeit nach der computerisierten Sackgasse. Und plötzlich findet man sich mittendrin im neoklassizistischen Remix von, nun ja, Björk. Auch wenn dieses Mal keine Computer-Beats wummern, blinzelt die extrovertierte Sterilität von "Homogenic" genauso durch wie die zurückgezogene Stille von "Vespertine" und die ätherische Verspieltheit der "Post". In der Erhabenheit von "Oceania", im betörenden Jubilieren von "Who is it", im sakralen Blinzeln von "Mouth's cradle" und im kopfnickenden Siegeswillen von "Triumpf of a heart". Sie zwängen sich durch gestreßte Synapsen mitten ins Ohr und werfen Anker. Ganz profane Hits mitten im Wirrwarr. Und plötzlich wird alles viel klarer.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Who is it (Carry my joy on the left, carry my pain on the right)
- Oceania
- Mouth's cradle
- Triumph of a heart
Tracklist
- Pleasure is all mine
- Show me forgiveness
- Where is the line
- Vökuró
- Öll birtan
- Who is it (Carry my joy on the left, carry my pain on the right)
- Submarine
- Desired constellation
- Oceania
- Sonnets/Unrealities XI
- Ancestors
- Mouth's cradle
- Miðvikudags
- Triumph of a heart
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Tommy Stinson
2024-03-24 12:32:02
Björk hat dieses Album teilweise auf der Kanareninsel La Gomera aufgenommen haben, wo ich gerade - mal wieder - Urlaub mache. Dass sich hier ein hochprofessionelles Aufnahmestudio befindet, darüber gibt es quasi schon seit Jahrzehnten Gerüchte unter den Touris. Den ungefähren Ort kenne ich, war aber noch nicht dort.
Jedenfalls soll Björk hier auf der Insel viel und laut singend in der wunderschönen Natur unterwegs gewesen Simeon, im Atlantik gebadet haben uvm.
MopedTobias (Marvin)
2021-11-21 14:17:04
Das kann ich durchaus nachvollziehen, wäre selbst aber immer noch bei einer knappen 8/10. Sehr interessanter Sound und zwei große Highlights mit "Desired constellation" und "Triumph of a heart".
Affengitarre
2021-11-21 13:51:56
So wirklich kam ich hier nie rein. Der Ansatz mit den vielen Vocals ist schon interessant und oft genug echt toll umgesetzt, aber berühren tun mich dann doch eher wenige Tracks.
MopedTobias (Marvin)
2020-11-08 01:27:03
Wir haben dieselben Highlights, "Desired constellation" und "Triumph of a heart" find ich auch am stärksten. Bei einem Björk-Poll wär ich natürlich sofort dabei :)
Old Nobody
2020-11-08 01:22:16
Pleasure Is All Mine 8/10
Show Me Forgiveness 7/10
Where Is The Line 8/10
Vökuró 8/10
Öll Birtan 6/10
Who Is It (Carry My Joy On The Left Carry My Pain On the Right) 6,5/10
Submarine 7,5/10
Desired Constellation 9/10
Oceania – 8,5/10
Sonnets / Unrealities XI 7/10
Ancestors 8,5/10
Mouth’s Cradle 7,5/10
Miðvikudags 6,5/10
Triumph Of A Heart 9/10
7,7/10
Kommt freilich nicht an die Großtaten Post, Homogenic und Vespertine ran,ist aber dennoch sehr gut und stimmungsvoll. Würde ich noch hinter Vulnicura und Utopia platzieren aber vor dem Debüt,Volta und Biophilia. Wobei ich da kein Album unter ner knappen 7 geben würde.
Könnte man gern auch mal n Poll zu machen^^
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