The Hidden Cameras - Mississauga goddam

Rough Trade / Sanctuary / Rough Trade
VÖ: 12.07.2004
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Gay back

Auf diese Band war die Welt nicht vorbereitet: Sieben bis siebzehn (je nach Tagesform) Kanadier, die zuckersüße Melodien spielen und bestens gelaunt über Geschlechtsverkehr zwischen zwei (oder mehr) Männern singen. Leider bekam die Veröffentlichung ihres Debüts "The smell of our own" hierzulande kaum jemand mit, und auch die üblichen Bedenkenträger wie beispielsweise Guido Westerwelle waren gerade zu sehr mit anderen Themen beschäftigt, um im Bundestag "Blame Canada!" zu singen. Oder einen Luftangriff vom Zaun zu brechen. Letzteres beweist allerdings nur die Aktualität von "Make love, not war".

Auf diese Platte war der Rezensent nicht vorbereitet: Sämtliche Anspielungen und Plattheiten aus dem großen Karton mit der Aufschrift "Schwulenwitze" wurden bereits in der Kritik besagten Debüts verbraten, und so muß die Besprechung des Nachfolgers "Mississauga goddam" leider ohne derartige Anzüglichkeiten auskommen. Wenigstens weitgehend.

Zunächst fällt der Umstand auf, daß einige Songs der "The smell of our own" einfach mit neuem Text noch einmal verwendet worden scheinen. Das ist für einen Moment etwas enttäuschend. Doch dann setzen Dschingis-Khan-hafte Chöre bei "I believe in the good of life" ein, und wird es einem herzlich egal, daß das Wort "Wiedererkennungswert" hier einen seltsamen Beigeschmack haben. Mastermind Joel Gibb singt über das, wonach seine Namensvetter bei den Bee Gees immer nur klangen: "I cleaned his feet to be complete / I drank from the wine that came from inside" ("That's when the ceremony starts"). Es geht also textlich gepflegt weiter, bis am Ende alle knietief in irgendwelchen Körperflüßigkeiten stehen.

Auch wenn es einiges an Überwindung kostet - selbst ein durchweg heterosexueller, aber musikliebender Mann dürfte bei "Music is my boyfriend" in die Gefahr des Mitsingens kommen: "I washed his dirty underwear / He made me toast / Music filled my mug with vaseline / I gave him a choke." Wie schon damals bei Lou Reeds "A walk on the wild side" werden sich Omas so lange über die schöne Musik freuen, bis jemand so leichtsinnig ist und ihnen den Text übersetzt. Vom ersten Ton bis zum mantra-haften Ende des Titeltracks tänzelt man hüftschwingend vor der Stereoanlage herum und hält nur inne, um sich ein wenig Luft zuzufächern. Das ist übrigens kein Grund, besorgt ans Dr.-Sommer-Team zu schreiben. Und weil es ohne Anzüglichkeiten doch ein bißchen öde ist, sei "Mississauga goddam" jedem aufrechten oder aufgerichteten Musikliebhaber wärmstens empfohlen.

(Lukas Heinser)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Builds the bone
  • I believe in the good of life
  • Mississauga goddam

Tracklist

  1. Doot doot plot
  2. Builds the bone
  3. Fear is on
  4. That's when the ceremony starts
  5. I believe in the good of life
  6. In the union of wine
  7. Music is my boyfriend
  8. B-boy
  9. We oh we
  10. I want another enema
  11. Mississauga goddam
Gesamtspielzeit: 40:53 min

Im Forum kommentieren

Armin

2005-05-23 18:39:44

Kanada ist zur Zeit schwer angesagt, wie es scheint. Eine der ersten
Bands, die auf begeisterte Ohren stießen sind die HIDDEN CAMERAS aus
Toronto. Mit ihrem zweiten Album 'Mississauga Goddam' und der anschließenden
Tour konnte sich die 7 bis 17-köpfige Truppe um Mastermind Joel Gibb mit
ihrer gay-church-folkmusic eine immer größer werdende Fangemeinde erspielen.
Jetzt legen sie nach mit einer weiteren Tour. Hier die Termine:
21.06.05 D-Marburg, queer festival @ Cafe Trauma, 23.06.05 D-Münster - Gleis
22, 24.06.05 D-Berlin - Magnet Club
25.06.05 CZ-Prag - Klub 007, 26.06.05 A-Wien - Donauinselfest, 27.06.05
D-München - Candy Club @ Atomic Cafe,
29.06.05 A-Salzburg - Rockhouse, 30.06.05 D-Wetzlar - Kulturzentrum Franzis,
02.07.05 DK-Roskilde Festival
04.07.05 D-Hamburg - Weltbühne (www.queerbeat.de)

tyrone

2004-11-30 00:12:10

unbedingt ins konzert gehen! live sind die (in berlin) 8 leute eine offenbarung.

Armin

2004-10-29 18:44:40

Mit ihrem aktuellen Album 'Mississauga Goddam' hat die 7 - 17köpfige Band
The Hidden Cameras auch in Deutschland endlich die ihnen gebührende
Aufmerksamkeit bekommen. Die Presse überschlug sich vor Begeisterung über
die fröhlichen folkmusikalischen Popsongs im Stile von Belle & Sebastian im
Phil Spector Breitwandsound. Jetzt kommt die Band endlich auf ausgedehnte
Tour:
25.11.04 Ger-Köln - Gebäude 9
27.11.04 Ger-München - Bavarian Open @ BR-Funkhaus
29.11.04 Ger-Berlin - Passionskirche
30.11.04 Ger-Hamburg - Weltbühne
08.12.04 Ger-Wiesbaden - Schlachthof
09.12.04 Ger-Schorndorf - Manufaktur
10.12.04 A-Linz - Posthof
11.12.04 A-Wien- Flex
12.12.04 Ger-Nürnberg - K4
(www.queerbeat.de)

Eike

2004-09-25 16:49:33

Man muß nicht unbedingt über eine somnambule Stilsicherheit verfügen bei der Bewertung dessen, was die Qualität von Tonkunst ausmacht. Aber es schadet auch nicht, zumindest soviel davon zu besitzen,daß man Unterschiede hören kann. Unterschiede, die relevant sind, wenn man Platten rezensiert, mit Punkten bewertet und somit in ihrer Qualität untereinander in Beziehung setzt. Und da finde ich die Einschätzung von Lukas Heinser zum neuen Album der "Hidden Cameras" ? "Mississauga Goddam" ? im günstigsten Fall knuffig. Weniger wohlwollend könnte man sagen: bedenkenswert! Bedenkenswert allemal, wenn man berücksichtigt, was denn seiner Meinung nach wesentlich besser sei als das, was Joel Gibb neuerlich geschaffen hat. Hier könnten etwa Kandidaten wie Ron Sexsmith genannt werden, der auf seinem Album "Retriever" 12 Songs von klassischer, jeglicher Zeitbedingtheit bereinigter Schönheit geschaffen hat. Oder etwa die Mannen um Jeff Tweedy in der Formation "Wilco" und deren grandiose Songstrukturen auf "A Ghost Is Born". Aber nein, nach Lukas Heinsers Meinung schlägt der - zweifellos perfekt inszenierte - Kommerz-Pop eines Robbie Williams das Werk der Hidden Cameras um zwei Punkte. Oder etwa das - ohne Frage sehr zu lobende - Debüt der Berliner "Wir sind Helden" schlägt das Album der Kanadier um der Punkte derer drei. "Aw, c'mon"! Soviel ästhetischen Gespürs bedarf es nun doch wirklich nicht, um zu erkennen, daß es dem Werk Robbie Williams an Abgründigkeit, Zerrisssenheit und Tiefsinn mangelt, um es große Kunst zu nennen. Und man muß auch nicht alle Werke Rilkes gelesen haben, um beurteilen zu können, daß doch einige der von Judith Holofernes verwandten Sprachbilder in der "Reklamation" ein wenig schief in den Wind gebaut sind und auf wackligen Füßen stehen. Das wirkt doch alles in der Relation ein wenig verschroben und wird der Größe von Joel Gibbs Kunst nicht gerecht. Hier finden wir in vielen Stücken eine derart leichte, luftige Beschwingtheit und Transparenz vor, die ein weniger vorsichtiger Rezensent als ich zu dem Pop eines Wolgang Amadeus Mozart in Beziehung setzen würde. Und ist es nicht genial, wie all diese Schönheit in den Tönen, durch das Derbe und Zotige in der Lyrik mancher Stücke konterkariert und ironisiert wird? Ein weniger vorsichtiger Rezensent als ich würde jetzt das Adjektiv "zappaesk" verwenden. Ganz unabhängig von der sexuellen Präferenz ist aber auch ein derart sehnsuchtsvolles Verzehren und Schmachten nach einem anderen Menschen wie in dem Stück "We oh We" von selten gehörter Grandezza!Und das soll weniger gut sein als etwa eine Allerwelts-Ballade wie "Angel" von Robbie Williams? Wie gesagt: knuffig! Und immer schön weiter Rezensionen schreiben, vielleicht klappt es ja irgendwann mal mit der Stilsicherheit, und wenn nicht: haben wir immer noch eine nette Realsatire. Vielen Dank!
Neun von zehn Punkten. Basta! "No(w), you c'mon!"

Lukas

2004-09-13 20:47:48

Call me Primitivling, but spell my name correctly!

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