Yasmine Hamdan - I remember I forget
Hamdamnistan / Kwaidan / PIASVÖ: 19.09.2025
Keine Hoffnung
Wenn der Libanon in den Nachrichten auftaucht, gibt es selten Gutes zu berichten. Es ist daher nachvollziehbar, dass Yasmine Hamdans neues Album "I remember I forget" keine fröhliche Angelegenheit ist. Die gebürtige Libanesin, die im Exil in Frankreich lebt, ist keine Unbekannte, so kooperierte sie unter anderem bereits mit Mirwais, CocoRosie und Marc Collin von Nouvelle Vague. Ihre Musik verbindet seit Jahrzehnten Einflüsse aus ihrer Heimat mit moderner Electronica, die grob im Trip-Hop-Bereich anzusiedeln ist, aber mittlerweile weit über ein solch enges Genrekorsett hinausragt. "I remember I forget" zu hören, bedeutet, Zeuge eines tief sitzenden Schmerzes zu werden. Hamdan gelingt es, in zehn Songs ein beklemmendes Bild von Trauer, Wut und Frustration zu zeichnen. Das Leid ist allgegenwärtig, es frisst sich durch Biographien wie ein Gift, das kein Gegenmittel kennt. An Normalität ist nicht zu denken.
Aber was heißt das schon. Es fühlt sich anmaßend an, einen solchen Begriff zu verwenden. Gerade angesichts der aktuellen Eskalation des Nahostkonflikts fällt es schwer, Meinung von Empfinden zu trennen. Noch schwerer ist es, nicht im Strudel des ideologischen Geschreis unterzugehen. Hamdan wählt den direkten Weg: Ihre Texte thematisieren schonungslos die Lebensrealität der Menschen. Natürlich sind sie damit automatisch politisch. Insofern lässt sich die künstlerische Ebene nur bedingt von der persönlichen trennen. Wenn Unrecht mit größerem Unrecht bekämpft wird, wenn religiöser Furor und Nationalismus Hand in Hand gehen, ist es nicht weit zum Pfad, der in die Verdammnis führt. Es geht um Hass. Hass, der so tief sitzt, dass er sich nicht wegverhandeln lässt. Hass, der Wunden reißt, deren Heilung wir nicht mehr erleben werden.
Hamdan filtert ihre Eindrücke, aber bleibt schonungslos ehrlich. Ihr Gesang schwebt klagend über den brütenden, zuckenden Arrangements. Liest man sich die Übersetzungen der Texte durch, wird schnell klar, dass sich die Künstlerin keinen Illusionen hingibt. So listet sie im Titeltrack lapidar Dinge auf, die "normal" sind: Mord, Plünderungen, Manipulation, Einschüchterung, Hysterie, Verzweiflung – ehe sie mit der Erkenntnis schließt, sich an das Vergessen erinnern zu müssen. Aus der Unmöglichkeit dieses Unterfangens erwächst ein Gefühl der Ohnmacht. Das finstere "Hon" schlägt in eine ähnliche Kerbe: Zeuge der Gewalt durch die Medien zu werden, lässt die Gedanken rasen. Der Tod auf dem Bildschirm passt nicht zur Sicherheit der eigenen Wohnung. Im Inneren lauert der Abgrund, das Verderben. Die Musik dazu ist famos produziert, fein austarierte perkussive Elemente treffen auf ausladende Flächensounds, irgendwo dazwischen verrichtet der Bass stoisch sein Werk.
Nur selten lässt Hamdan ein bisschen Licht ins Dunkel. "Shmaali" erinnert mit seinen kreisenden Motiven an traditionelle arabische Tanzmusik, diese Einflüsse werden jedoch so lange durch die Maschinen gejagt, bis nichts außer einem synthetischen Gurgeln übrigbleibt. "Vows" greift mystische Metaphorik auf und kontrastiert sie mit einem leisen Hauch von Hoffnung, die von der unheilvoll dröhnenden Musik direkt wieder in die Schranken gewiesen wird. Es gibt keinen Grund zur Freude, denn das wäre kindisch. Immer wieder bäumt sich die Musik auf, immer wieder fällt sie in sich zusammen. Die Krise ist Dauerzustand, sie sitzt in den Knochen. Nur das Zwischenmenschliche vermag, ein bisschen Trost zu spenden. Doch selbst hier lauert die Finsternis: "Reminiscence" ist bewusst offen gehalten, man weiß nicht recht, ob es hier um Gewalt oder Liebe – oder beides – geht. Wie eine Schlafwandlerin tastet sich Hamdan von Vers zu Vers, findet jedoch keinen Ausweg. Der Tod ist ein Begleiter, der sich nicht abschütteln lässt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hon
- I remember I forget
- Vows
- Reminiscence
Tracklist
- Hon
- Shmaali
- Shadia
- The beautiful losers
- I remember I forget
- Vows
- Abyss
- Mor
- Daya3
- Reminiscence
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Christopher
2025-11-02 00:30:17
"Vows" ist überirdisch gut.
parnell17
2025-10-31 22:48:10
Sie hat so viele gute Songs in ihrem Back-Katalog und auch wenn mich dieses neue Album nicht von A-Z mitreisst, sind die Einstiege in beide Seiten mit "Hon" und insbesondere "Vows" absolut phänomenal. Spannender Soundscape hat sie da geschaffen. Muss ebenfalls ein Konzert nächstes Jahr besuchen; bei ihr weiss man ja nie, wann sie das nächste Mal wiederkommt.
fuzzmyass
2025-10-09 13:05:44
Sie ist nächstes Jahr im Februar auf Tour in München, Köln und Berlin
Arne L.
2025-10-09 12:29:32
Yasmine Hamdan ist bis jetzt völlig an mir vorbeigegangen, obwohl sie ja schon vor über zehn Jahren ein Tiny Desk gespielt hat und mit tollen Künstler:innen kollaboriert. Danke für den Text Christopher, genau für sowas schau ich seit 20 Jahren bei Plattentests nach Musik! Hab ich gleich mal gespeichert.
fuzzmyass
2025-10-09 00:20:36
Bin schon sehr gespannt, mochte die Alben davor sehr.... freue mich auch sehr auf das Konzert nächstes Jahr
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- Yasmine Hamdan - I remember I forget (6 Beiträge / Letzter am 02.11.2025 - 00:30 Uhr)
