Earl Sweatshirt - Live laugh love

Tan Cresida / Warner
VÖ: 22.08.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

His loyal highness

In einem Genre, in dem das gegenseitige Herziehen über einander nicht nur zum guten Ton, sondern fast zur Pflicht gehört, ist es ein Ding der Unmöglichkeit, derjenige zu sein, auf den sich wirklich alle einigen können. Thebe Neruda Kgositsile – oder eben Earl Sweatshirt – kommt diesem Ziel mittels seines zur Schau gestellten Slackertums im Laufe des letzten Jahrzehnts aber vergleichsweise nah. Nach den Tiefen mit Aufenthalt in einer Drogenentzugsklinik einerseits und den Höhen durch seine Mitgliedschaft im legendären Odd Future-Kollektiv rund um Tyler, The Creator andererseits hat der heute gerade einmal 31 Jahre alte Kgositsile sein nun bereits fünftes Studioalbum vorgelegt. Die vier Vorgänger sind dabei nicht nur allesamt in die Top 100 der US-Charts eingestiegen, sondern durften auch in diversen Feuilletons für ihre Wortgewandtheit bei gleichzeitiger "Realness" viel Anerkennung genießen. Sweatshirt weiß also meistens, wovon er spricht, und im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter hat er wenig übrig dafür, den Hustle zu glorifizieren. Sein Hintergrund als Kind einer Jura-Professorin und eines südafrikanischen ANC-Aktivisten sind sicherlich nicht archetypisch für die klassische Außenseiter-Story des allgemeinen Rap-Ideals, aber Sweatshirts Diskographie zeigt eindrücklich, dass trotz dieser Vorzeichen nicht alles eitel Sonnenschein sein muss. Im Vergleich zu den bisherigen Werken setzt dieses Album nun jedoch durchaus viele positive Schwerpunkte, und Kgositsile scheint mit der Geburt seines zweiten Kindes ein wenig von seiner Rastlosigkeit abgeworfen zu haben.

"Live laugh love" klingt als Titel zwar erst mal nach großer Biederkeit, behält jedoch die gewohnte Tiefe an lyrischer Qualität, welche man von dem Künstler gewohnt ist. Mutmaßlich kein anderer zeitgenössischer Rapper kann glaubhaft machen, dass man sich bei dem ganzen gepflegten Zynismus über solche Büropostersprüche immer dann, wenn man ganz bei sich ist, letztendlich doch eingestehen muss, dass auch eine so simple Wahrheit immer noch eine Wahrheit ist. "Gamma (need the <3)" beispielsweise könnte als eine Hommage an den 2023 verstorbenen Plug Two von De La Soul nun dem Anlass entsprechend schwermütig sein, aber zelebriert lieber den Gedanken von Gemeinschaft und wie sie einem bis zum Tag X den Rücken freihält: "Love leaving, it's unappealing to be stuck / You stayed under, I stay wondering why / 'Cause the wave undulates, and I 'm on a high." Die Produktion setzt dabei auf noch eine Schippe mehr Lo-Fi als gewohnt, und Kgositsiles Flow kommt noch mal eine Spur vernuschelter daher als ohnehin schon, so als wolle er zwar gerne das Gefühl teilen, aber die Gründe dafür lieber kryptisch und möglichst schwer zugänglich halten. Eigentlich ist das schon eine gut zutreffende Charakteristik, wenn man versucht, seine Alben im gesamten Rap-Geschäft zu verorten: Hier geht es nicht darum, dass Leute mitsingen oder einen Ohrwurm von einer besonders einprägsamen Hook haben. In einem Genre, wo es sehr häufig um gelungene Slogans und harte Punchlines geht, ist ein Album wie "Live laugh love" eher ein schmaler, in Kunstleder eingebundener Gedichtband.

Ein Beispiel, um aufzuzeigen, worauf man sich bei dem Versuch einer Analyse von Sweatshirts Lyrics einlässt, bilden die folgenden Bars aus "Tourmaline": "Everybody wanna be Bowser / I'm plumbin' the deceit out, the fire come through me now / Pitch-black tourmaline tower." Kgositsile lässt hier die Idee von "spitting fire" als Merkmal für guten Rap hinter sich, verschachtelt es mit dem Feuerblumen-Item von "Super Mario" und nimmt das initiale Thema als Sinnbild dadurch wieder auf, dass allgemein als Heilsteine angesehene schwarze Turmaline – symbolisch für seine Frau Aida – eben durch Magma gebildet werden. Wenn man solche Gedankengänge einmal dechiffriert hat, dann erscheinen sie natürlich nicht mehr allzu spektakulär. Aber die unfassbare Dichte, mit der diese Verschachtelung an verschiedensten kulturellen Facetten zwischen Pop, Rap und sonstigen Trivia fortgeführt wird, ist tatsächlich schwer woanders zu finden. Kgositsile gelingt es überproportional oft, innerhalb von zwei Bars drei bis vier auf den ersten Blick unabhängige Referenzen miteinander in sinnvolle Beziehung zu setzen, nahezu auf gesamter Albenlänge. Wenn man auf derartige Quellenarbeit keine Lust hat, dann gehen einem allerdings auch wesentliche Aspekte dieses Albums verloren. Als reines "Feel good"-Produkt taugt "Live laugh love" dann eben nicht – und grenzt sich damit nicht bloß im Verzicht auf etwaige "writings on the wall" hinreichend positiv von gleich betitelten Wandtattoos ab.

(Gerrit Phil Abel)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gamma (need the <3)
  • Well done!
  • Tourmaline

Tracklist

  1. GSW vs SAC
  2. Forge
  3. Infatuation
  4. Gamma (need the <3)
  5. Well done!
  6. Live
  7. Static
  8. Crisco
  9. Tourmaline
  10. Heavy metal aka ejecto seato!
  11. Exhaust
Gesamtspielzeit: 24:08 min

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Armin

2025-10-01 20:38:43- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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