Doja Cat - Vie
Kemosabe / RCA / SonyVÖ: 26.09.2025
So ein Dojanander
Es gibt so einige historische Daten, zu denen man noch viele Jahre später weiß, wo man seinerzeit war. Für die meisten von uns wird der 09.12.2011 wahrscheinlich nicht dazugehören, aber dennoch spielt dieses Datum eine besondere Rolle für den weiteren Verlauf dieser Rezension. An diesem Tag erschien das legendäre Album "Floral shoppe" von der damals 19-jährigen Ramona Andra Langley unter dem Alias Macintosh Plus. Wenn einem dieser Umstand noch nichts sagt, dann vielleicht das damit aus der Taufe gehobene Genre: Vaporwave, eine Mischung aus dem Synthwave der Achtziger, R&B und einigen Jazz-Elementen mit charakteristisch verlangsamten Vocals und frequentem Einsatz von Autotune. Es beschäftigt Musiktheoretiker bis heute, ob dieses Mikrogenre nun eine tatsächliche Ehrerbietung an die genutzten Vorlagen oder eine handwerklich aufwändige Parodie darstellen soll. Und mit exakt denselben genutzten Versatzstücken dürfen wir uns dieser Frage nun auch bei Doja Cats neuem Album widmen – wobei sie natürlich standesgemäß noch amtliche Rapskills beisteuert, welche den folgenden Mast- und Schotbruch jedoch nicht verhindern können.
Anstelle einer Hommage an das Wave-Jahrzehnt, wie man sie bei der Single "Jealous type" vielleicht noch vermuten könnte, verfestigt sich mit zunehmender Spieldauer immer mehr der Eindruck, dass Doja Cat – Jahrgang 1995 – hier in die Falle hineingerät, eben nur die Nacherzählung einer Nacherzählung leisten zu können. Der Höhepunkt des Vaporwave als eigentliche Kontaktfläche zum Quellmaterial würde deutlich klarer in ihre Vita als E-Girl hineinpassen und auch andere Indizien sprechen hier stark dafür, dass es diesmal wie in sonst allen möglichen Promotexten dieser Welt eben kein Herzensprojekt gewesen ist. Am auffälligsten ist hierbei die suspekte Verwendung von französischem A2-Sprachniveau. Also, das Level, welches man sich mit so einem Vier-Wochen-Kurs vor dem Urlaub ins Hirn prügeln kann. Und ja, mit einer milderen Sicht der Dinge vergisst man aus der europäischen Brille leicht, dass es ein autre chose ist, wenn man auf der anderen Seite des Erdballs mit seiner Frankophonie versucht, die Kosmopolitin heraushängen zu lassen, als es der gemeine Teutone so macht. Aber anstelle eines generischen "Break my heart" ist es dann eben ein "Brise mon cœur" et ça, c'est tout. Das alternative Cover von "Vie" mit dem auf Rosen gebetteten Kopf rundet dieses halbgare Klischee nach unten ab.
Ähnliche Gimmicks sind dann Intros, die sich an etwaigen Achtziger-Klassikern aus Film und Fernsehen bedienen. Das passiert dann mal subtiler und geradeaus langweiliger mit einem "Conan der Barbar"-Zitat wie in "All mine", manchmal auch gelungener mit dem "Knight Rider"-Theme in "Aaahh men!". Aber selbst die besser verarbeiteten Adaptionen werden hier nicht clever oder mit stärkerem inhaltlichen Bezug zum jeweiligen Song einbezogen, sondern sind nichts weiter als die Schüler der Jahrgänge über einem: einfach nur da. Das ist alles wirklich bedauerlich, weil Doja Cat all dieser schlechten Entscheidungen zum Trotz eine eloquente und technisch versierte Rapperin geblieben ist. Das zeigt sich auch auf diesem Album durchgängig, wird durch den damit konkurrierenden Kitsch und, faute de mieux, Blödsinn jedoch permanent gegen die Soundwand gedrückt. Es ist schlicht unverständlich, welche künstlerischen Entscheidungen auch immer sie dazu bewogen haben mögen, sich mit der Wahl ihrer Motive einen derart nicht zu ihr und ihren Themen passenden Klotz am Bein zuzulegen. Die französische Sprache und Doja Cats Kernthemen rund um Sexualität hätten beispielsweise mit dem in unserem Nachbarland deutlich populäreren Gangsterrap, gerade mit ihrem Skillset, hier sehr viel mehr Potenzial geboten. Außer natürlich, das hier ist tatsächlich die Option B einer ganz ausgefeilten Persiflage, welche sich dann aber einfach nicht erschließt. Somit: Alles abseits der genannten Anspieltipps ist musikalisches Füllmaterial und selbst für eingeschworene Fans nicht zu empfehlen. Désolé.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Jealous type
- Aaahh men!
- Make it up
Tracklist
- Cards
- Jealous type
- Aaahh men!
- Couples therapy
- Gorgeous
- Stranger
- All mine
- Take me dancing (feat. SZA)
- Lipstain
- Silly! Fun!
- Acts of service
- Make it up
- Happy
- One more time
- Come back
Im Forum kommentieren
Armin
2025-10-01 20:38:32- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Doja Cat - Vie (1 Beiträge / Letzter am 01.10.2025 - 20:38 Uhr)
- Doja Cat - Scarlet (2 Beiträge / Letzter am 04.10.2023 - 21:53 Uhr)
