Mariah Carey - Here for it all

Mariah / Gamma
VÖ: 26.09.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Mariah, ihm schmeckt's!

Die Überraschung ist groß: Mariah Carey schiebt ein neues Album aus der Versenkung, das richtig gut reinhaut. "Here for it all" heißt das Ding, und tatsächlich klingt es so, als wolle Carey noch einmal allen zeigen, dass sie mehr ist als zugeschminkte Weihnachtsplaylist-Diva und Chart-Veteranin auf dem absteigenden Ast. Statt aseptisch-steriler Hochglanz-Popware gibt es eine unerwartet warme, zum Teil (!) fast analog anmutende Platte – mit Soul, Funk, Gospel und Disco-Anleihen, die sich erstaunlich organisch zusammenfügen. Der Opener plätschert zwar eher unscheinbar dahin, doch gleich danach macht "Play this song" mit Anderson Paak klar, wohin die Reise geht: satte 70s-Soul-Vibes, echte Drums neben programmierten, Background-Chöre zum Niederknien und sogar eine fein dosierte Sitar im Arrangement. Man fühlt sich fast in die "Saturday Night Fever"-Ära geschleudert – nur mit etwas weniger Polyester und Bee-Gees-Falsett.

Zwischen den Hits lugt Carey immer wieder um die Ecke und probiert Sounds aus, die man ihr so nicht unbedingt zugetraut hätte. "Type dangerous" arbeitet erst mit irritierenden Stakkato-Sprachsamples, die an Kraftwerk und Yello erinnern, bis plötzlich eine bluesig-funkige Gitarre den Refrain sprengt. "Sugar sweet" zieht karibische Rhythmen, G-Funk-Anleihen und Reggae-Vibes ins Boot – Shenseea und Kehlani inklusive –, auch wenn die Stimme hier und da etwas zu stark nach Autotune riecht. In "In your feelings" wiederum gibt's schunkelnden 6/8-Takt, im ersten Teil leider noch mit unangenehm statisch programmierten Drums – bis Carey die Fesseln sprengt und das Ding in Richtung Philly-Soul aufflackern lässt. Und wenn sie eine klassische Powerballade raushaut wie "Nothing is impossible", dann zeigt sich, warum sie trotz aller Glitzerpop-Manierismen immer noch als eine der stärksten Stimmen ihres Fachs gilt: perfekte Phrasierung, ein Spannungsbogen wie aus dem Lehrbuch, Harmonien, die überraschen. Noch dazu haben die Songwriter*innen ganze Arbeit geleistet. Kaum ein Song ist langweilig, immer passiert irgendetwas Unerwartetes, manch ein Track endet ganz anders, als er begonnen hat.

Dass Carey noch immer Lust auf Tanzflächen hat, beweisen die clubbigen Nummern der Platte. Tiefe Synthbässe, stoische Hi-Hats und rhythmische Teppiche lassen Songs wie "Confetti und champagne" angenehm deep grooven, ohne dabei seelenlos zu wirken. Anderswo geht's wieder voll in den Soul-Funk, handgemacht, mit echten Musikern im Rücken – ein bisschen so, als hätten Daft Punk "Random access memories" noch einmal auf Motown getrimmt. Besonders überraschend: das Paul-McCartney-Cover "My love", das Carey in ein gospelartiges Gewand hüllt, ohne den Song zu beschädigen. Solche Momente zeigen, dass sie offenbar nicht nur ihre eigene Vergangenheit verwalten will, sondern auch anderen Klassikern einen neuen Anstrich verpassen kann. Überhaupt haben die besseren Uptempo-Tracks eine Lockerheit, die man einer Künstlerin, die oft für überladenes Pathos gescholten wird, gar nicht mehr zugetraut hätte.

Natürlich bleibt es nicht ganz ohne Zuckerüberzug. Das Finale – titelgebend "Here for it all" – schießt gewaltig übers Ziel hinaus: erst Ballade, dann Gospel-Explosion, schließlich viel zu viel Gekiekse. Da kippt die Balance hart ins Kitschig-Überladene, wo vorher doch so viel erfrischende Erdung erfreute. Trotzdem: Das Album ist in Summe richtig stark. Das sauber dosierte Retro-Konzept wirkt nicht abgekupfert, sondern atmend, lebendig und manchmal fast charmant. Am Ende bleibt der Eindruck: Hier singt keine abgehalfterte Multimillionärin auf der Suche nach kratzfest beschichteten Streaming-Hits, sondern vielleicht doch eine Legende, die einfach Spaß daran hat, ihre Lieblingsmusikstile abzufeiern. Und genau das macht "Here for it all" zu einem der erfreulicheren Comebacks des Popjahres.

(Jochen Reinecke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Play this song
  • Nothing is impossible
  • My love

Tracklist

  1. Mi
  2. Play this song (feat. Anderson Paak
  3. Type dangerous
  4. Sugar sweet (feat. Shenseea und Kehlani
  5. In your feelings
  6. Nothing is impossible
  7. Confetti and champagne
  8. I won't allow it
  9. My love
  10. Jesus I do (feat. The Clark Sisters)
  11. Here for it all
Gesamtspielzeit: 39:44 min

Im Forum kommentieren

Saschek

2025-10-01 20:41:00

Ach - why not? Mal ausprobieren. Mariah Carey scheint sich ja schon länger wieder gefunden zu haben. Kommt in den letzten Jahren immer wieder überraschend sympathisch rüber.

Armin

2025-10-01 20:38:17- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Jochen Reinecke

2025-09-27 13:55:13

Album überraschend gut, Rezi folgt.

MickHead

2025-09-27 11:51:44

Komplette Playlist bei YouTube:

https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_n99KWql9sT_sdI4kvWZZoQ-RMVcaBG6TQ

Borcholtes Album der Woche!

MickHead

2025-08-28 11:25:31

Tracklist:

01 Mi
02 Play This Song feat Anderson .Paak
03 Type Dangerous
04 Sugar Sweet feat Kehlani and Shenseea
05 In Your Feelings
06 Nothing Is Impossible
07 Confetti & Champagne
08 I Won't Allow It
09 My Love
10 Jesus I Do feat The Clark Sisters
11 Here For It All

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