Neil Young And The Chrome Hearts - Talkin to the trees

The Other Shoe / Reprise / Warner
VÖ: 13.06.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Elbows up!

"I'm afraid of Americans", sang David Bowie vor knapp 30 Jahren, augenzwinkernder Slogan eines globalen Unbehagens. Wenige Sätze passten wiederum weniger zu Neil Young, der gefühlt seit Anbeginn der Rockgeschichte den Blick auf den südlichen Nachbarn seiner Herkunft Kanada richtet, ihn ohne Berührungsängste in all seinem Schillern zwischen Verstörung und Verheißung festzuhalten sucht. Young war dabei freilich immer in erster Instanz an den Menschen interessiert, die das Land prägen, indem sie tatsächlich darin leben, konkret wirken und arbeiten. 2020 erhielt er die doppelte Staatsbürgerschaft, für Young ein Dokument der Verantwortung und biografischen Verbundenheit. Seitdem hat sich politisch bekanntlich einiges verändert, und als der aktuelle Commander-in-chief kürzlich zu einer Social-Media-Tirade gegen Bruce Springsteen ansetzte, seinen neben Young vielleicht einflussreichsten Kritiker an der Gitarre, sprang ihm dieser gleich zur Seite – wohlwissend, dass das Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Vielleicht, so Young, der dieser Tage zu einer Europatournee aufbricht, gehöre er bald zu denen, "die nach Amerika zurückkehren und mit Hausverbot belegt oder ins Gefängnis gesteckt werden, wo sie auf einem Zementboden unter einer Aluminiumdecke schlafen". Angst hat er darum keine, Wut umso mehr.

Zwei Songs auf "Talkin to the trees", dem 48. Studioalbum (!) Youngs, folgen stark der Melodie zu "This land is your land", einmal als Country-Schunkler ("Silver eagle"), dann als Schrammelrock ("Let's roll with it"). Die Referenz an den Genossen Woody Guthrie ist selbstredend kein Zufall, vielmehr geht es beiden Stücken darum, sich das Land anzueignen, es zu schützen und seine utopischen Potenziale zu realisieren. "Silver eagle" summt freundlich einen Patriotismus der vielen Stimmen herbei, "Let's roll with it" wiederum hat gar keinen Bock mehr auf unklare Standpunkte. "If you're a fascist then get a Tesla", ätzt Young, der ist wenigstens elektrisch, wobei China ohnehin längst fortschrittlichere Technologien habe. Für Kunstfertigkeit in der Sprache ist die Zeit abgelaufen, die Protestlieder auf "Talkin to the trees" sind nicht schön oder komplex, sondern direkt: Punk eben. "Big change" reißt die Verzerrer noch weiter auf, singt vom nahenden Wandel, von dem keiner zu wissen scheint, wie er zu steuern und ob er wünschenswert sei. Etwas kollidiert, was bleibt, sind orientierungslose Statisten. Begleitet wird Young diesmal nicht von Crazy Horse, sondern seiner zweiten, jüngeren Stammband: Denn hinter The Chrome Hearts verbergen sich großteils die Musiker von Promise Of The Real, was dem rumpelnden, angenehm unpolierten Klangbild keinen Abbruch tut.

Neben der politischen kennt "Talkin to the trees" weitere Ebenen, die Young auf andere Weise persönlich engagiert zeigen. Über dem knochentrockenen Blues-Rock von "Dark mirage" funkeln knappe Leads, während Young in Schemen und Schatten einen Konflikt mit seiner Tochter anzudeuten scheint: "I lost my grandchildren / In the dark mirage / Now I can't see them / They're in the dark mirage." In den ruhigeren Momenten zu Akustikgitarre, Lap Steel und Mundharmonika verbergen sich einmal mehr echte Songwritingperlen. So trägt der Titeltrack mit fragiler Stimme Alltagsvignetten vor, die zwischen pastoraler Ruhe und einem zarten Bewusstsein für die Vergänglichkeit alles Seienden pendeln. Und auch vor Selbstzitaten schreckt Young nicht zurück: Die lebenskluge Ballade "First fire of winter" erinnert stark an "Helpless" aus CSNY-Zeiten, der Closer "Thankful" imitiert das Gitarrenflirren von "Harvest moon". Mit 79 Jahren sind ein paar Selbstgespräche natürlich erlaubt. Und wenn der torkelnde Bar-Rock von "Movin ahead" sämtliche Gläser vom Tresen fegt und das anschließende "Bottle of love" mit lyrischen Piano- und Basslinien das genaue atmosphärische Gegenteil vertont, ist das einerseits alles etwas chaotisch, aber eben auch immer noch erfrischend unprätentiös. Seine Stimme bleibt hörbar: Hat etwa jemand Angst vor Kanadiern?

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • First fire of winter
  • Talkin to the trees
  • Bottle of love

Tracklist

  1. Family life
  2. Dark mirage
  3. First fire of winter
  4. Silver eagle
  5. Let's roll again
  6. Big change
  7. Talkin to the trees
  8. Movin ahead
  9. Bottle of love
  10. Thankful
Gesamtspielzeit: 37:57 min

Im Forum kommentieren

Lichtgestalt

2025-06-29 18:15:42

Mir gefällt das Album. Bisher 7/10

Herr

2025-06-29 11:43:11

Die allgemeine Meinungslage erscheint überschaubar. Der Herr Young klampft halt erwartungsgemäß vor sich hin. Die Rezensionen hat sich dieser Situation jedoch tapfer gestellt.

Armin

2025-06-19 09:35:28- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

joseon

2025-06-13 20:53:01

Hoffe auf einen Kleinanzeigen Schnapper am Konzerttag. Selbst Springsteen Tickets gab es diese Woche dann teilweise noch zum Schleuderpreis, aber hatte keine Lust auf Stadion.

"Talkin to the Trees" gehört für mich nach einem Durchgang zu den Neil Young Platten die ich unter der Kategorie "Rohstoffverschwendung" verbuche. ;)

Huhn vom Hof

2025-05-31 18:58:21

Ich würde gerne zum Konzert in Mönchengladbach gehen, aber über 100 Ocken finde ich ein bisschen teuer...

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