
Haim - I quit
Vertigo / UniversalVÖ: 20.06.2025
Kann niemand trennen
Die drei Haim-Schwestern haben nicht nur verschiedenste Kapitel der Pop-Geschichte quasi mit der Muttermilch aufgesogen, sondern diese auch von Anfang an in ihre Musik fließen lassen. Ihr viertes Album spiegelt die Stilvielfalt allerdings zum ersten Mal mit einem kohärenten inhaltlichen Überbau. "I quit" ist eine waschechte Trennungsplatte. Mit Promo-Fotos, die Paparazzi-Schnappschüsse berühmter Break-Ups nachahmen, begegnen Haim dem Thema satirisch, doch der Hintergrund ist harte Realität: Danielles Trennung von ihrem langjährigen Partner, dem Produzenten Ariel Rechtshaid. Um mit all den komplexen Emotionen angemessen umzugehen, die so ein Beziehungsende auslöst, empfiehlt es sich, auch künstlerisch in alle Richtungen zu schießen – auch wenn die Basis von "I quit" weiterhin der an Fleetwood Mac geschulte Pop-Rock bildet, der wie ein Brennglas jeden Sonnenstrahl intensiviert. Nicht umsonst hat Charli XCX auf ihrem Coachella-Set 2025 den "Haim summer" ausgerufen.
Die wildesten stilistischen Wucherungen finden sich dabei am Anfang und Ende der Platte. Der George Michaels "Freedom" samplende Opener "Gone" entlädt seine per Akustik-Geschrammel angestaute Energie in einem bluesigen Solo, bevor der Groove voll einsetzt und die Schlussminute eine perkussive Straßen-Party feiert. Auch "Now it's time" lassen Haim erst im Schlussdrittel von der Leine, wenn sie die Saiten durch einen psychedelischen, leicht Madchester-inspirierten Rhythmus-Mörser schleudern. Dass "All over me" mit seinem "Sheryl Crow in cool"-Pop die Experimentierfreude des Eröffnungsstücks früh relativiert, ist nicht weiter schlimm, fährt der Song nebst schönen Melodien wieder ein herrlich träges Solo auf. Die Produktion von Danielle, Rostam Batmanglij und Buddy Ross – Rechtshaid ist nachvollziehbarerweise nicht mehr beteiligt – inszeniert solche Momente klar und unaufdringlich, während sie die Genre-Ausflüge unter einen Hut zu bekommen versucht.
Das gilt auch für die weniger im Rock verankerte Seite von "I quit". "Relationships" zelebriert astreinen Neunziger-R'n'B, der Stimmen und Tasten so umeinanderschlingt, dass sie sich kaum mehr voneinander lösen lassen. Das von Alana alleine gesungene "Spinning" erinnert als vollelektronischer Disco-Pop daran, dass Trennungstränen noch immer am besten auf der Tanzfläche trocknen. Im Kontrast dazu schmeißt das tolle "Lucky stars" die Verstärker an, um von rumpelndem College-Rock ausgehend immer mehr Dream-Pop-Schlagseite zu entwickeln. Was sich auf dem Papier mehr nach Streamingdienst-Playlist als nach homogenem Album liest, ist in der Hörpraxis genau Ersteres. Das ist aber ebenso wenig ein Kritikpunkt wie der Umstand, dass von den 15 Tracks manch einer auf hohem Niveau etwas abfällt. Die Haims haben immer noch riesigen Spaß am gemeinsamen Musizieren, und dieser überträgt sich ungebrochen über die komplette Laufzeit ans andere Ende der Leitung.
Ob "Million years" mit Spoken-Word und gedämpftem Bass über seine Breakbeats stolpert, "Blood on the street" schleppend durch verstaubte Western-Städte zieht oder Este in "Cry" ihren Schwestern in die Melancholie-Disco folgt: Haim beherrschen jede Spielart so gut, als würden sie nie etwas anderes machen. Auch konventionellere Nummern wie die hymnische Single "Down to be wrong" versehen sie mit vielen spannenden Details – man höre nur, wie die Uptempo-Hüpfburg "Take me back" Xylofon, Mundharmonika und Saxofon durch die Luft wirbelt. Selbst eine im Kern etwas dröge Country-Ballade wie "The farm" gestaltet sich durch den am Ende geöffneten Instrumentenschrank noch hörenswert. Das emotionale Durcheinander eines Beziehungsendes mit einem gleichsam ungeordneten Album abzubilden und dabei immer Herrinnen über das Chaos zu bleiben, ist ein Erfolg, den Haim so schnell niemand nachmacht. Oder, um Alana aus "Licorice pizza" zu zitieren: "I'm cooler than you. Don't forget it."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gone
- Down to be wrong
- Take me back
- Lucky stars
Tracklist
- Gone
- All over me
- Relationships
- Down to be wrong
- Take me back
- Love you right
- The farm
- Lucky stars
- Million years
- Everybody's trying to figure me out
- Try to feel my pain
- Spinning
- Cry
- Blood on the street
- Now it's time
Im Forum kommentieren
jo
2025-07-03 07:48:30
Weiß nicht. Für mich ist die Band seit dem Debüt schon eigenständig genug...
musie
2025-07-03 07:36:14
Ich denke, gerade die Referenzen/Samples sind der Clue dieses Albums...
jo
2025-07-02 23:06:22
Ach was... Referenzen braucht hier keiner. Ist einfach gut.
musie
2025-07-02 22:55:20
und im Sommer funktioniert auch der Sheryl Crow Song..
musie
2025-07-02 22:53:51
Sympathy for the Devil auch..
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