
Drangsal - Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen
Virgin / UniversalVÖ: 13.06.2025
Aufbruch zum Plural
Drangsal ist tot – es leben Drangsal. Den gleichnamigen Solo-Künstler habe Max Gruber nach einer Sinnkrise nämlich offiziell "gekillt", gibt er bekannt. Seine ganz persönliche "Exit strategy", so scheint es – aber wie eine Kreuzung aus dem titelgebenden Phönix und einem Zerberus sind Drangsal als dreiköpfige Band wiederauferstanden. Links und rechts neu mit dabei: Der umtriebige Theatermusiker Marvin Holley sowie Multitalent Lukas Korn, welcher neben seinen Verpflichtungen bei Lyschko und Mia Morgan schon länger zu Grubers Live-Band gehört. "Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen" erklingt es nun also selbstbewusst und einigermaßen sperrig aus der Drangsal'schen Songschmiede. Was für ein Titel. Über die fehlende Interpunktion freut sich unser Forum schon. Darf es sich auch über mehr von dem freuen, was heute NNDW genannt wird und durch Grubers Pioniergeist in den späten 2010ern maßgeblich mitgeprägt wurde?
Der Vorbote "Bergab" klingt nach Oldschool-Drangsal ohne Synthies, liefert aber auch den ersten richtigen Twist: Das letzte Drittel verwandelt das Trio nämlich in eine beinah postrockende Coda mit prominenter Streicherspur. Genug gezappelt, jetzt wird musiziert! Also ganz ernsthaft – wenn es sein muss, auch mit Blechbläsern und Orgeln. Oder mit zahlreichen Verweisen auf Folk und Chanson, auf Lyrik und Poesie, auf Hamburger Schule und immer wieder auf Glam. "Ich hab von der Musik geträumt", verkündet Gruber theatralisch, und er meint: Musik. Das vierte Album unter dem Drangsal-Banner, das erste als Band, bricht das althergebrachte Konzept an allen Ecken und Enden auf, traut sich und testet aus. Gleichzeitig ist es nicht die radikale Provokation, die man dem Frontmann sicherlich auch zugetraut hätte.
Aus der Ego-Show wird ein Gemeinschaftsdienst: Um "Gimme back my song!" zu fordern, benötigt Gruber heute einen stattlichen Chor, die Single endet als prächtiges Epos. Übertriebener Größenwahn ist allerdings nicht zu befürchten, stattdessen regiert eine zwar exzentrische, aber noch gesunde Ambition, die man dem Künstler stets abkauft. Textliche Seltsamkeiten wie "Mein Eid" (Kostprobe: "Der Narren Zungen sollen Saum sein, der den Karren ziert.") oder die ungewöhnliche Spoken-Word-Einlage "Rosa" stehen konventionelleren Stücken wie "Die satanischen Fersen" gegenüber, das neben seiner Salman-Rushdie-Verballhornung im Titel klassisch (deutsch-)rockt und den Phönix fliegen lässt. Auch "Die Bestie mit dem brennenden Schweif" stelzt majestätisch durch akustisch-folkig angehauchten Indie-Pop, wie ihn gewisse Hamburger Bands gern darbieten oder Die Mausis bereits adaptiert haben. Ergänzt durch einen weniger affektierten Text und vorsichtige Beats wird "Funke & Benzin" mit ähnlichen Mitteln zum eindeutigen Highlight. Noch bevor die Band das Stück dann doch zerrockt.
"Love will see us through this" setzt indes auf perlenden Artpop, funktioniert aber gerade in seiner Andersartigkeit ausgezeichnet. Die neu erschlossene Vielfalt steht der Band Drangsal gut zu Gesicht, hat das enge Genre-Korsett zuvor doch durchaus für eine gewisse Limitierung gesorgt. Wenn "Pervert the source" musikalisch abdriftet und sich ein Nest aus Disco-Funk und Jazz baut oder das Interlude "FKA M & M 1" von Easy Listening in disruptiven Elektro mündet, ist die Experimentierfreudigkeit des Trios mehr als ersichtlich. "Wheelgreaser" kommt als fröhlicher 70s-Rock-Ohrwurm mit sexpositiver Message daher, im Glam-Popper "Inkomplett" lassen Drangsal die große Nancy Sinatra zurückkehren. Ähnlich legendär: Sophia Blenda, die das düstere "Mein Mo(nu)ment" mit ihrem Klagegesang veredelt, während Gruber sich mehr und mehr verausgabt.
Natürlich sind bei Drangsal 2.0 auch die Texte kryptischer und abstrakter gehalten. Wo sich der 31-Jährige früher noch ausgiebig an der eigenen Person abgearbeitet hat, widmet er sich nun weiträumigeren Betrachtungen und kunstvollen Schilderungen – ganz so, als hätte er neben Gesangsunterricht auch Kurse in kreativem Schreiben genommen. Zwischenzeitlich mag das proppenvolle Album überwältigend erscheinen. Es lässt sich leise behaupten: Drangsal legen ihr "Adore" vor – zwar latent prätentiös und teils überladen, oft aber einfach schön. Denn wenn Kapellmeister Gruber sich nach allem Kitsch und Kabarett am Ende des Tages abschminkt, bleibt da bloß er selbst. Und er fleht: "Kannst Du etwas für Dich behalten? / Dann lass es mich sein." Gegen die fundamentalsten Gefühle ist sämtlicher Pomp der Welt letztlich machtlos.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Love will see us through this
- Ich hab von der Musik geträumt
- Funke & Benzin
- Mein Mo(nu)ment (feat. Sophia Blenda)
- Inkomplett
Tracklist
- Love will see us through this
- Bergab
- Die Bestie mit dem brennenden Schweif
- Ich hab von der Musik geträumt
- Die satanischen Fersen
- Mein Eid
- Pervert the source
- FKA M & M 1
- Wheelgreaser
- Hab Gnade!
- Funke & Benzin
- Your fears are well-founded
- Mein Mo(nu)ment (feat. Sophia Blenda)
- Inkomplett
- Rosa
- Nation of resignation
- Ein Haus
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Glufke
2025-07-01 14:20:07
Wenn Thanksalot nicht so lobende Worte gefunden hätte, hätte ich wohl nie ein Ohr riskiert - thanks an der Stelle! ;) Ich find es auch ziemlich gut, allerdings auch sehr viel auf einmal. Das erste Drangsal-Album fand ich damals echt gut, hab mich aber auch schnell dran satt gehört. Bei diesem hier tauchen bei mir die wildesten Assoziationen auf: "Inkomplett" erinnert mich an AMs "Tranquillity Base & Casino"-Phase, dann ist es wieder NDW und in den etwas lauteren Momenten musste ich absurderweise an die Pop-Momente von The Hirsch Effekt denken :D ich finde die Stimmen und Intonation ähneln sich da sehr, Z.B. in "Mein Mo(nu)ment" - hört das noch jemand? (Achja, und in der Bridge vom selbigen Song muss ich dann plötzlich an "Devil in a Midnight Mass" denken..)
qwertz
2025-06-29 14:57:54
Find's auch spannend und vielseitig. Gruber und Co. bieten hier auf jeden Fall eine Menge an. "Die satanischen Fersen" gefällt mir als offensichtlicher Hit bisher noch mit am besten.
Thanksalot
2025-06-28 22:25:29
Starkes Album und mMn sein bestes Werk bisher.
17 Titel und knapp eine Stunde Laufzeit mögen erstmal einschüchtern, aber das Niveau wird konstant hoch gehalten und es macht einfach Laune, das Ding durchzuhören.
Der Vorgänger war mir entschieden zu kitschig und aufgesetzt, das hier wirkt wesentlich geerdeter und organischer. Eine gewisse Theatralik gehört zu Max Gruber, hält sich hier aber angenehm in Grenzen.
Viele Highlights: "Bergab", "Die Bestie mit dem brennenden Schweif", "Ich hab von der Musik geträumt", "Wheelgreaser" und mit "Nation Of Resignation" ein richter Knaller am Ende.
Tolle Entwicklung. Derzeit 8/10.
nörtz
2025-06-13 20:26:02
Mein Mo(nu)ment ist schon ganz gut.
Armin
2025-06-11 20:40:06- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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