Lael Neale - Altogether stranger

Sub Pop / Cargo
VÖ: 02.05.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Fest und flüchtig

Lael Neale hat sich mit Haut und Haaren der Reduktion verschrieben. "Altogether stranger" ist zwar bereits das vierte Album der US-amerikanischen Songwriterin, doch denkt sie nicht im Traum daran, ihre im kleinen Rahmen gewachsene Popularität durch üppigere Arrangements abzubilden. Wieder hat sie sich für den Schreib- und Aufnahmeprozess zu Hause verzogen, wo sie gemeinsam mit Produzenten-Kumpel Guy Blakeslee und ihrem Lieblingsinstrument, dem Omnichord, neun entrückte Lo-fi-Perlen erschuf. Textlich geht es Neale diesmal um die Zerrissenheit zwischen ihren Heimaten: dem ländlichen Virginia ihrer Kindheit und Los Angeles, dessen unruhiges Treiben sie nach mehrjähriger Abwesenheit fast zu erschlagen drohte. Diese Dichotomie passt zur Musik von "Altogether stranger", die einerseits durch ihr DIY-Ethos unheimlich nahbar wirkt, andererseits mit einlullender Repetition in ganz eigene Bewusstseinssphären abdriftet.

"Every light needs darkness to be seen / My matches are wet and it keeps darkening", stellt Neale ganz zu Beginn fest, bevor sie dem Ruf der "Wild waters" auch ohne Lichtquelle folgt. Im Geiste seines Titels strömt dieser Opener auf seinem Drumcomputer-Floß unbeirrt nach vorn und präsentiert die Gitarre als dominantes Instrument, die stellenweise in herrlichster Velvet-Underground-Manier flirren darf. An die New Yorker Koryphäen erinnert auch die Lead-Single "Tell me how to be here": An geloopten Saiten befestigt umspannt Neales Gesangsmelodie die ganze Skyline von L.A., die sich in der wortlosen Schlussminute im knisternden Mellotron-Nebel auflöst. "The cabinet it won't close / There's dust on my pillow / I can't sleep at night / With Jazz through the window", beschreibt die Zurückgekehrte die Entfremdung von der Wahlheimat und wähnt Erlösung in der Nähe zu einem geliebten Menschen, durch den sie ihre Bodenhaftung wiedererlangen kann: "It's just a little lonely / Without the ground below me."

Doch Neale hat nicht nur emotionale Beziehungen im Kleinen, sondern auch das große Ganze im Blick. "All good things will come to pass" listet ironisch Errungenschaften der Menschheit auf, ehe es komplett unverblümt eine fatale Bilanz zieht: "But our feet only know pavement / And the ocean is a trash can / Our brothers, sisters hated / With our mother instituted and decaying." Musikalisch lässt sich der Track nichts anmerken, fügt sich mit knisternder Elektrischer und lässigen Orgel-Hooks in eine schmissige erste Albumhälfte ein. In deren Zentrum steht der knapp fünfminütige Roadtrip von "Down on the freeway", der mit stoischer Motorik Aufbruchsstimmung erzeugt. In "Come on" nimmt das Omnichord wieder eine Hauptrolle ein, während Neale ihre Stimmlage hochschraubt und den Eindruck verstärkt, man würde einen Sixties-Pop-Hit aus einer anderen Dimension empfangen. Nicht nur hier beweist die Künstlerin, wie sie selbst mit minimalen Mitteln raumfüllende Texturen produziert und jeden Song vollkommen erscheinen lässt.

Im Schlussdrittel verliert "Altogether stranger" etwas an Dynamik, was allerdings nicht allzu stark ins Gewicht fällt, da auch die ruhigen Stücke für sich stehend funktionieren. Da lässt "New ages" einen Schellenkranz an den Überbleibseln eines Surf-Rock-Riffs verhallen oder "All is never lost" die Illusion entstehen, dass im Hintergrund ein kleines Orchester brodelt. Das finale "There from here" setzt mit wenigen Piano-Tönen auf die ultimative Reduktion, verbindet eskapistische Sehnsüchte mit der trüben Vorhölle eines Flughafens. Keine rosigen Aussichten für die Erzählerin, und doch fühlt sich der Song in seiner sakralen Einfachheit wie die gesamte Platte ungemein trostspendend und hoffungsvoll an. Lael Neales Musik flackert wie ein Licht im Nebel, das einen auch dann wärmt, wenn man es nicht greifen kann.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wild waters
  • All good things will come to pass
  • Tell me how to be here

Tracklist

  1. Wild waters
  2. All good things will come to pass
  3. Down on the freeway
  4. Sleep through the long night
  5. Come on
  6. Tell me how to be here
  7. New ages
  8. All is never lost
  9. There from here
Gesamtspielzeit: 32:14 min

Im Forum kommentieren

myx

2025-06-08 17:10:26

Gerade den Konzertbericht von Berlin nochmals gelesen, vielen Dank nachträglich @Unangemeldeter! Würde mich wirklich sehr freuen, ihre hypnotisierenden Songs wie beschrieben auch einmal live erleben zu können, aber leider auch für uns nichts in passender Distanz dabei ...

Kojiro

2025-05-30 13:44:59

Nachdem mir in den letzten Wochen immer wieder Songs in den Releaseradar gespült wurden, werde ich das WE mal reinhören.

fuzzmyass

2025-05-22 13:06:17

Sehr schön, würde die auch gern sehen, aber leider kein München Konzert :(
Album ist fantastisch, ein Jahreshighlight

Unangemeldeter

2025-05-22 11:05:22

Crosspost aus dem Konzerte-Thread:

Ich war gestern bei Lael Neale in der Kantine am Berghain. Wunderbares Sommerwetter, bei dem sich der Biergarten vor der Location richtig gelohnt hat.
Support kam von Lael Neales einzigem Bandmitglied Guy Blakeslee, der als Entrance genau 4 Lieder (davon ein Cover) auf Gitarre gespielt und gesungen hat. Sehr inbrünstiger Vortrag, fast komplett mit geschlossenen Augen (sogar die kurze Zwischenansage), hat mir als Einstimmung ziemlich gut gefallen. Stimmlich und vom Vortrag hat es mich an Neutral Milk Hotel erinnert, gibt sicher schlechtere Referenzen.

Nach kurzer Pause kam dann Lael Neale, für ein Lied allein, ab dann mit Unterstützung von Blakeslee, auf die Bühne. Sie war sich mit ihm wohl auch einig, dass an diesem Abend weniger mehr ist und hat grade mal eine knappe Stunde (inklusive Zugabe von einem Lied) gespielt - schon ein bisschen arg kurz. Das Dargebotene war aber toll, sie ist schon eine faszinierende Songwriterin. In den meisten ihrer Lieder steckt irgendwo ja so ein 50er/60er-Popsong drin, der aber durch die LoFi-Produktion und die Soundscapes auf den Kopf gestellt und ins All geschubst wird. Das Resultat ist in den besten Fällen absolut hypnotisierend - was zum Glück auch live funktioniert.
Wie schon bei Maria Somerville vor kurzem am selben Ort war das Publikum wieder andächtig still und aufmerksam. Leider ist ausgerechnet während des besten Stückes Tell Me How To Be Here eine Zuschauerin an der Bar ohnmächtig geworden und musste rausgetragen werden - hoffentlich ist da alles OK. Hat aber natürlich ganz schön rausgerissen.

Lael und Guy kamen noch zum Signieren an den Merchstand, da gab es aber keine CDs sondern nur Vinyl und selbstgemalte Bilder von Lael und so waren wir noch vor 22 Uhr wieder draußen, es war sogar noch ein bisschen hell.

Lucas mit K

2025-05-10 07:25:15

Sehr schönes, kurzweiliges Album. Gelungene Mischung aus den richtigen Einflüssen und eigenem Vibe. Das vorherige Album habe ich bisher gar nicht gehört, muss ich nachholen.

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