David Byrne - Grown backwards
Nonesuch / WarnerVÖ: 15.03.2004
Traumwolken
"Grown backwards." Rückwärts gewachsen. Durchlebt David Byrne etwa eine umgekehrte Entwicklung? Nein, nein. Mit der These, daß man sich im Alter vor allem geistig wieder zurück in die Kindheit entwickeln würde, hat das neue Album des ehemaligen Kopfes der Talking Heads nun wirklich nichts zu tun. Der Albumtitel bezieht sich vielmehr auf seine Kompositionsweise. Während er sonst zunächst Rhythmen und Grooves skizzierte, summte er sich dieses Mal zuerst die Melodien zusammen. Und diese sind ihm als Freund des Belcanto sind auf "Grown backwards" zumeist besonders lieblich geraten.
Doch auch in butterweiche Arrangements gesteckt ist all das keine leichte Kost. Verschnörkelte Gesangslinien und sorgsam formulierte Harmoniewechsel bevölkern Byrnes Debüt bei Warner ebenso wie manch vertrackter Rhythmus und allerlei lyrische Absurdität. Was auf dem Papier ein wenig verkopft erscheinen mag, verblüfft durch seine Leichtigfüßigkeit. Byrne hat die Gabe, seine manchmal hochkomplexen Gedankengänge mit einem Schuß Eingängigkeit zu präsentieren.
Die vermeintliche Grenze zwischen U-Musik und E-Musik verwischt schon in der nicht ganz alltäglichen Cover-Auswahl. Dem entspannten Säuferlied "The man who loved beer" von Lambchop setzt er im Duett mit Rufus Wainwright mit "Au fond du temple saint" eine Arie aus Georges Bizets "Die Perlenfischer" entgegen und rundet später das Album mit einer weiteren Arie, dieses Mal aus Verdis "La traviata", ab. Das muß man wohl gehört haben, um glauben zu können, wie bruchlos diese Übergänge im Albumkontext vonstatten gehen.
Byrnes stets etwas näselnde Singstimme verheddert sich nicht mehr in distanziert artistischen Fingerübungen, sondern hat sich ganz dem Wohlklang verschrieben. Im Gegensatz zu manch überambitioniertem Jungspund weiß er um die Kraft der Reduktion. Im stillen Kämmerlein erzählt die Partitur kleine Geschichten, statt die einzelnen Instrumente im Bombast zu ertränken. Das kommt der Stimmung zugute und schafft Nähe. Im einen Augenblick ein lavendelduftendes Stück Seligkeit, im nächsten ein paar beigemischte Bittermandeln. Byrne läßt uns daran teilhaben, wie er einfach ein wenig Musik träumt. Ohne Aufgeregtheit, aber mit einigem Tiefgang. Manchmal dabei vielleicht doch ein wenig zu einlullend. Und am Ende bollert plötzlich die unterkühlte Ibiza-Hymne "Lazy" aus den Boxen. Da war sie wieder, die Distanz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Glass, concrete & stone
- The man who loved beer
- Au fond du temple saint
- Lazy
Tracklist
- Glass, concrete & stone
- The man who loved beer
- Au fond du temple saint
- Empire
- Tiny apocalypse
- She only sleeps
- Dialog box
- The other side of this life
- Why
- Pirates
- Civilization
- Astronaut
- Glad
- Un di felice, eterea
- Lazy
Referenzen
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