Natalie Merchant - The house carpenter's daughter

Myth America / In-Akustik
VÖ: 19.03.2004
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Schöner leiden

Die amerikanische Folkmusik bezieht ihre Energie bis auf den heutigen Tag aus einigen wenigen, dafür aber umso bedeutenderen Quellen. Die wichtigste ist wohl die "Anthology of American Folk Music". Ein gewisser Harry Smith hatte Anfang der 50er Jahre die auf Tonträger gebannten Songs der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammengetragen und so der Nachwelt gesichert. Weiterhin sind da die Union-Songs aus den 20ern und 30ern, die mit ihren Klagen gegen die Ungerechtigkeit der Arbeits- und Lebensumstände auch heute noch eine eigentümliche Kraft entwickeln. Schließlich bleibt das großartige Werk der Carter Family zu nennen, deren Country-Folk eine ganz eigene Tradition begründet hat.

Natalie Merchant nun hat mit all ihren Alben - auch schon als Sängerin der 10,000 Maniacs - eine Annäherung an die oben beschriebenen Wurzeln versucht. Dabei ging und geht es ihr nicht um den Effekt, sich den Wiedererkennungswert von Traditionals zu Nutze zu machen, eine vielleicht rockige Interpretierung eines bekannten Stoffs zur Gewinnmaximierung einzusetzen. Sie spürt der Seele eines jeden Songs nach, nimmt sich Zeit, forciert eine fundierte Auseinandersetzung mit dem historischen Stoff und entledigt des Ergebnis eines jeglichen unnützen Ballasts. Country-Trash ist ihre Sache nicht.

"Which side are you on" ist ein Klassiker unter den Gewerkschaftsliedern. Florence Reece, die Frau eines verfolgten Bergarbeiter-Gewerkschafters, schrieb ihn 1932 unter dem Eindruck der Käuflichkeit der Kollegen ihres Mannes. Wie bei allen Songs auf dem Album ist es die aus der Einfachheit resultierende Eindringlichkeit der Lyrics in Verbindung mit der kraftvoll-pointiert eingesetzten Stimme, die bewegt. Ein weiteres Highlight ist die Mörder-Ballade "Diver boy", eine düstere Moritat mit den Zutaten Liebe, Sehnsucht, Verschwörung, Geld, Unglück, Mord, Verrat. Das erste jemals von der Carter Family auf Platte aufgenomme Stück war "Bury me under the weeping willow" und in Merchants Version evoziert es Bilder von einer Appalachen-Landschaft, wo die Fiddle zum Squaredance bittet und die Männer mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln den Ladies mit den weiten Kleidern nachstellen. Eine Art generationsübergreifende Tanzmusik, deren Wirkung auch heute noch zu spüren ist.

Allerdings ist nicht zu verleugnen, das Traurigkeit und Melancholie die prägnantesten Gefühle sind, die mit den elf Songs transportiert werden. Das Beschreiben der Umstände der Arbeiter machte sie bestimmt nicht glücklicher, auch das Besingen von Liebe und Tod hat in der Art und Weise, wie Natalie Merchant es tut, eine beinahe verletzende Wirkung. So ist es fast zwangsläufig, daß den Abschluß von "The house carpenter's daughter" das vielleicht bekannteste amerikanische Lied über Abschied und Tod bildet: "Poor wayfaring stranger". Wo aber bei der Interpretation durch Johnny Cash die religiöse Erlösungserwartung eindeutig in den Vordergrund trat, ist es hier die Trauer. Leid kann so schön sein.

(Joerg Utecht)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Which side are you one
  • Diver boy
  • House carpenter

Tracklist

  1. Sally Ann
  2. Which side are you on
  3. Crazy man Michael
  4. Diver boy
  5. Weeping pilgrim
  6. Soldier, soldier
  7. Bury me under the weeping willow
  8. House carpenter
  9. Owensboro
  10. Down on Penny's farm
  11. Poor wayfaring stranger
Gesamtspielzeit: 50:37 min

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