Hannah Cohen - Earthstar mountain

Bella Union / Rough Trade
VÖ: 28.03.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Frühlingsgefühle

Der Titel ist kein Etikettenschwindel: Elementare Kräfte treiben "Earthstar mountain" an. Die Topografie ihrer Wahlheimat in den Catskills –Gewässern, sanfte Hügel und Wälder, wenige Autostunden von New York City entfernt, – stehen Hannah Cohens drittem Soloalbum ebenso eingeschrieben wie Neugier, Lust und Trauer. Kurz: Zeugnisse eines sich wandelnden Lebens. Auf dem Cover prangt eine Lithografie aus dem 19. Jahrhundert, Cohen mittendrin, als kenne sie ihren Platz im Gewebe der Welt. "Everything's changing / You can see it moving and evolve", so formuliert der Opener "Dusty" als stilvolle Referenz an Cohens Heldin Dusty Springfield die Prämisse der zehn neuen Songs. Ein Drumcomputer, eine Nylongitarre, betörende Flötentöne und ein sanft hinter dem Beat wogender Bass stecken das Territorium ab. Federleicht schwebt Cohens markant hohe Stimme über der Szenerie, in der alles eine weiche Membran zu werden scheint: "I can hear the neighbor's TV / Coming through the walls like a lullaby". Gemeinsam mit Partner, Produzent und Multiinstumentalist Sam Evian feilte Cohen im zum Studio umgebauten Bauernhaus an einem Klangbild, das tiefe Spuren vergangener Dekaden zeigt und zugleich von einer einnehmenden ästhetischen Klarheit geprägt ist.

"Dreams", dieser unversiegbare Quell der Pop-Brillanz von Fleetwood Mac, könnte dort im Hintergrund gelaufen sein, als Cohen "Mountain" schrieb. Sehr nah sind sich beide Lieder in ihrer wehmütigen Stimmung, die von der Slide-Gitarre noch einmal intensiviert wird. Cohen trauert um einen engen Freund, bis alle Eloquenz aufs schlichte Gefühl zurückfällt: "Miss you bad." Ein zentrales Motiv auf "Earthstar mountain" findet sich in der Verknüpftheit alles Seienden, strukturiert durch wiederkehrende Pilzmetaphern. Thematisch erinnert das gelegentlich an Cassandra Jenkins, auch wenn Cohen deren Experimente stets dem sanften Albumfluss unterordnet. Das akustische "Rag" lässt den Blick durch die Nachbarschaft schweifen und gestattet sich ein verblüfftes Grinsen: "Hey there's Ed, 75 years old / Still got his mother-in-law livin' with him / How that works I don't know." Doch wirken Cohens Beobachtungen nie zynisch, sondern behaupten den Wunsch, verbindende Lebensformen und -arrangements unvoreingenommen zu ergründen. "It's the way your hands move to your face / I call your bluff", stellt das nur vermeintlich anklagende "Baby you're lying" fest. Vielmehr erkennt sich die lange in der Care-Arbeit beschäftigte Cohen qua genauer Beobachtung in ihrem Gegenüber wieder und darin einen nächsten Schritt zur Ehrlichkeit.

Es passt zum Ansatz und der Atmosphäre von "Earthstar mountain", dass sich immer wieder Gäste in die Aufnahmesessions verirren. "Una spiaggia" wird so zur Morricone-gefärbten Jamsession, in der Sufjan Stevens und Clairo dezente Stimm- und Klarinettenharmonien beisteuern. Clairo bestreitet ja zurzeit einen ähnlichen musikalischen Weg und ist ebenfalls in Upstate New York beheimatet. In der zweiten Hälfte bricht Cohen den flirrenden Retro-Folk-Pop ein wenig auf, was der Dynamik des Albums guttut. "Summer sweat" kehrt den in vielen Songs subtil schlummernden Funk nach außen; Cohens Harmonien fahren beeindruckend hoch und pendeln zwischen engelsgleicher Entrückung und sinnlicher Begierde: "Hold me tight / Gently melting all around me." Und "Shoe" fühlt sich so verloren wie der manchmal unauffindbare zweite, ist aber gleichzeitig von einer dunklen Coolness gezeichnet, die in Evians Fuzz-Gitarre und schweren Streicherteppichen ihr Maskottchen findet. "Earthstar mountain" fühlt sich der Region seiner Entstehung spürbar verbunden und teilt seine Impressionen gerade darum so elegant mit. Der Blick aus dem Fenster hilft, Fluss und Einfluss speisen Cohens Songwriting.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dusty
  • Mountain
  • Summer sweat
  • Shoe

Tracklist

  1. Dusty
  2. Draggin'
  3. Mountain
  4. Earthstar
  5. Rag
  6. Una spiaggia
  7. Summer sweat
  8. Shoe
  9. Baby you're lying
  10. Dog years
Gesamtspielzeit: 37:12 min

Im Forum kommentieren

Lucas mit K

2025-06-18 06:45:28

Das ist wirklich ein ganz wunderbares Album. Bei warmen Temperaturen zündet es noch mehr. Entdeckung des Jahres für mich. Alle, die mit Big Thief auch nur entfernt was anfangen können, sollten hier unbedingt reinhören.

Lucas mit K

2025-05-10 07:29:29

„Mountain“ klingt, als wären Fleetwood Mac nie weg gewesen. Wunderschöner Song, nahezu perfekt.

Lucas mit K

2025-04-18 08:24:35

Schöne Entdeckung. Stimme klingt bisschen wie Adrianne Lenker.

Armin

2025-04-09 20:25:00- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Obrac

2025-03-28 13:26:09

Ach, cool.

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