
Vereter - Ihr seit alle
UnrecordsVÖ: 21.03.2025
Der Pinguin hat's versaut
Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen? Wie der auf Plattentests.de durchaus wohlwollend bedachte Rainhard Fendrich? Schön für Sie. Pete Prison IV jedoch kennt die Hauptstadt der Alpenrepublik mit Sicherheit auch von unten – als queerer Musiker mit Migrationshintergrund und Wiener Kind der bereits zweiten Generation, das sich trotzdem immer wieder mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert sieht. Das tut weh, und Polizeiwillkür, bedenkliche Wahlergebnisse und verdammt schlafmützige Teamkollegen beim Fußball tun ihr Übriges. Da kann auch der Künstler wenig mehr tun, als mit einer Tüte voll trockener Semmeln vor einem Schaufenster voller Brautkleider zu lümmeln und auf bessere Tage zu hoffen. Bis dahin spielt er eigenen Angaben zufolge "Dark Penguin Pop". Und der wackelt längst nicht immer so drollig von dannen, wie es sich vielleicht liest.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Musik, die der Österreicher im Dialekt auf Akustikgitarre oder Quetschkommode sowie gelegentlich mit seiner Begleitband Die Woarmen Semmeln vorträgt, schuldet in erster Linie heimischen Liedermachern oder Indie-Folk-Kaputtniks wie Voodoo Jürgens, Die Buben Im Pelz oder Fortuna Ehrenfeld eine ganze Menge. Von Südpol, Kaffeehaus oder Vierterl-Piefigkeit ist "Ihr seit alle" also gleichermaßen weit entfernt. Dafür umso näher am Künstler, der sich mit dem vorsätzlichen Fehler im Albumtitel und der sperrigen Schreibweise von "Verräter" beim Alias schief grinsend auch selbst auf die Schippe nimmt. Als Außenseiter mit der nicht europäischen Physiognomie, auf dessen Kosten die Leute blöde Witze machen und der oft auf Englisch angesprochen wird, wenn man ihn jemandem vorstellt. Schleich Di und ba ba.
Ein unseliger Umstand, den auf "Ihr seit alle" das spitzfindige Akkordeon-Klagelied "Es war ja net bös gemeint" ausführt. In diesem hechelt Vereter sämtliche Zumutungen seitens seiner Landsleute durch – von unsensiblem "Ma Ihr Deutsch des is ja so guat" bis zu rassistischem "Geh doch zurück in Dein Land." Ironischerweise so präzise und geistreich formuliert, wie es wohl wenige Urheber jener Sätze hinkriegen würden. Ebenso tieftraurig und launig entlarvend, sodass man beim Hören überlegt, ob man sich selbst von solchen Schwachheiten komplett freisprechen kann. Garantiert nicht entlasten mag Vereter im perkussiv schrummelnden "Gürtel Walzer" die Gendarmerie vom Racial Profiling – dann schon eher "Murli", auch wenn der auf dem grünen Rasen lieber am Handy hängt, statt gescheit vor die Wuchtel zu treten. Endstand: 0:12. Kann ja mal andauernd passieren.
Genau in diesem Starrsinn und dieser reizenden Rumpeligkeit liegt der Charme dieses Albums, das auch Stippvisiten Richtung schwerzüngiger Folklore-Hymnen und Swamp-Wühlerei unternimmt. Im desolaten Talking-Blues "Feuersalamander" demonstriert Vereter zudem eindrucksvoll, wie man nur mit Klampfe und Bassfigur einen herrlichen Groove etabliert, nachdem sich "Little Paris" eingangs noch gekippt über die beautiful people im Wiener Servitenviertel lustiggemacht hatte. Der nahezu einzige Rock-Moment lässt bis fast zum Ende auf sich warten und gibt dem treulosen "Mauserl aus Simmering" noch kräftig einen mit. Der putzige Watschelvogel im Frack? Kommt in "Wie ein Pinguin" zugunsten, sagen wir, expliziter Rachefantasien kaum vor. Muss aber auch nicht: Gewandt genug ist "Ihr seit alle" auch ohne sein Zutun. Für leiwand, gegen Oasch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Little Paris
- Feuersalamander
- Es war ja net bös gemeint
Tracklist
- Little Paris
- Gürtel Walzer
- Feuersalamander
- Es war ja net bös gemeint
- Murli
- Schießbudengsicht
- Wie ein Pinguin
- Das Mauserl aus Simmering
- Schwarzes Haar
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Armin
2025-04-02 19:49:15- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Vereter - Ihr seit alle (1 Beiträge / Letzter am 02.04.2025 - 19:49 Uhr)