Spellling - Portrait of my heart

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 28.03.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Mit breitem Pinsel

Cynthia Cabral hat ihren Künstlernamen Spellling auf Basis eines Twitter-Wortspiels von Erykah Badu ausgewählt. Sich einfach mal ein "l" mehr zu gönnen, passt jedoch auch wunderbar zum Maximalismus, der aus jeder Pore ihrer Musik strömt. Ihr Referenzwerk "The turning wheel" machte im Grunde alle anderen Art-Pop-Alben 2021 obsolet, weil sie dort sowieso schon mit drauf waren. Der Nachfolger "Portrait of my heart" entledigt sich nun jeder R'n'B-Verankerung zugunsten eines gitarrenfokussierten Sounds und klingt dabei größer und mächtiger als alle Rock-Platten des Jahres zusammen. Das ist deshalb erstaunlich, weil Cabral emotional direkter als zuvor vorgeht und den Entstehungsprozess entschlackt hat. Weder die 31 Mitmusiker*innen noch die konzeptionelle Aufteilung des Vorgängers hat sie auf "Portrait of my heart" mitgenommen, stattdessen setzt sie auf eine dreiköpfige Kern-Band. Dennoch strahlen die elf ideenreich arrangierten und instrumentierten Songs vor einer raumgreifenden Fülle und bilden eine sinnstiftende Einheit, die im Playlist-Zeitalter alles andere als selbstverständlich ist.

Wenn der eröffnende Titeltrack mit seinem zwingenden Drive einsetzt, fühlt man sich unweigerlich an "Praise a lord ..." von Yves Tumor erinnert – einem anderen eigenwilligen Pop-Auteur, der zuletzt den Weg in Richtung straighter Rockmusik eingeschlagen hat. Im weiteren Verlauf spült der Song diese Assoziation mit seinem turmhohen Streicher-Refrain, Piano-Anschlägen und Chören jedoch wieder davon. Das ist zweifelsfrei cheesy und beinahe musicalhaft, dabei dennoch geschmackssicher und vor allem unheimlich euphorieauslösend. "Keep it alive" führt das Momentum in einem kleineren, aber nicht weniger mitreißenden Rahmen fort, koppelt schnellzündende Pop-Rock-Hooks mit freidrehenden Streichern und einem Finale, in dem die Synths erst durch den Orbit wirbeln und dann langsam verglühen. Es klingt ein bisschen so, als hätten in einem Paralleluniversum Paramore und Pink Floyd gemeinsame Sache gemacht. An "Alibi" hat dahingegen der reale Turnstile-Gitarrist Pat McCrory mitgewirkt, um Cabrals Sehnsuchtstänzen ein dickes Riff-Fundament zu schenken, das auch während des präfinalen Solos tapfer durchhält.

Ab diesem Punkt beginnt das Album im Sinne seiner Spannungskurve, langsam die Form zu verändern. "Waterfall" deutet mit seinem Akustik-Intro den Schritt zur Reduktion an, was sich hier aber noch als falsche Fährte entpuppt, wenn der Track später Klimax auf Klimax schichtet. Erst "Destiny arrives" kommt hörbar zur Entspannung und greift mit seinen orchestralen Verästelungen und wandelbaren Melodien wieder stärker auf "The turning wheel" zurück. In der Ballade "Ammunition" dominieren dann Tasten- und Streichinstrumente, nur um herrlich überdramatischen Hardrock-Solos den Platz zu räumen, bei denen man sich nicht wundern würde, wenn die Elektrische zwischendurch in Flammen aufgeht. An dieser Stelle wird endgültig klar, dass der für Cabral essenzielle "Alles geht"-Ansatz auf "Portrait of my heart" nichts an Bedeutung eingebüßt hat – ein Eindruck, den die noch weniger vorhersehbare zweite Albumhälfte dick unterstreicht.

Da türmt sich etwa der auf einer eingängigen Piano-Melodie fußende "Mount Analogue" als erstes Duett der Spellling-Diskografie auf, wenn sich Cabral und Chaz Bear alias Toro Y Moi gegenseitig anschmachten: "I feel the weight of your love / I'll go wherever you lead." Mit "Drain" folgt der krasse Cut: Braxton Marcellous von Zulu tritt als schon zweiter Hardcore-Gast-Gitarrist der Platte auf, um sein Instrument durch den Dreck zu schleifen und im Zusammenspiel mit Drummer Patrick Shelley am Ende ein kleines Sludge-Gewitter zu beschwören. Nach dem ebenfalls überraschend harten Zwischenstück "Satisfaction" hat "Love ray eyes" plötzlich Bock auf besonders käsigen Achtziger-Pop-Rock, dessen kilometerweiter Refrain den Spaß an "Portrait of my heart" auf den Punkt bringt: "We're on a roll / On a rush so colorful." Den eigentlichen Schlusspunkt setzt das My-Bloody-Valentine-Cover "Sometimes", das den Geist des Originals ebenso wie den der Interpretin einfängt. Größenwahn und Zärtlichkeit, Präzision und Geheimnis in perfekter Bierdeckel-Balance – und damit ein weiteres wunderbares Sinnbild für das, was die Faszination hinter Cynthia Cabrals Musik ausmacht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Portrait of my heart
  • Keep it alive
  • Drain
  • Love ray eyes

Tracklist

  1. Portrait of my heart
  2. Keep it alive
  3. Alibi
  4. Waterfall
  5. Destiny arrives
  6. Ammunition
  7. Mount Analogue
  8. Drain
  9. Satisfaction
  10. Love ray eyes
  11. Sometimes
Gesamtspielzeit: 41:08 min

Im Forum kommentieren

AliBlaBla

2025-04-07 15:36:36



Portrait of my heart 9
Keep it alive 9
Alibi 7,5
Waterfall 7,5
Destiny arrives 8
Ammunition 8
Mount Analogue 8
Drain 9
Satisfaction 7,5
Love Ray eyes 9
Sometimes 8,5

Bonzo

2025-04-03 21:54:09

Nach Turning Wheel die nächste Bombe gezündet. Wieder 9/10.

AliBlaBla

2025-04-03 21:45:48

Eine der besten Stimmen unserer Generation* -?
Ich finde die Abmischung auch geil, so richtig laut knallt das Album voll, was vorher nicht immer bei ihr so der Fall war...

(*das ist aber nur meine persönliche Meinung muss man nicht teilen)

Unangemeldeter

2025-04-03 20:06:41

Ich bin leider eher Team Lichtgestalt. Nach einem Durchlauf würde ich auch eher sagen dass das mit mir und dem Album nix wird.

AliBlaBla

2025-04-03 18:09:45

Finde ich richtig richtig stark.
Auch den Gesang.
Wie kann man den ablehnen?
Mal die Ohren durchspülen/putzen....

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