Lucy Dacus - Forever is a feeling

Interscope / Universal
VÖ: 28.03.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lust for lust

Gerade in dunklen gesellschaftlichen Zeiten liegt die Flucht in die eigene Jugend nahe, die Erinnerung an ein Früher, in dem zumindest in Bezug auf die kindliche Sorglosigkeit wirklich vieles besser war. Lucy Dacus hat keine Lust mehr, wegzulaufen, schließlich hat sie dies mit dem retrospektiv ausgerichteten "Home video" bereits getan. Ihr viertes Solo-Album "Forever is a feeling" ist komplett im Hier und Jetzt verankert – auch wenn sich das weniger in politischen Reflexionen und mehr in der gegenwärtigen Offenlegung ihrer Gefühlstumulte äußert. Es ist, um den einzigen relevanten Kritikpunkt direkt hinter uns zu bringen, ein bisschen schade, dass die teils unbändig artikulierten Emotionen nicht öfter auch musikalisch überschwappen. Doch bei der stillen Ausdruckskraft ihres detail- und abwechslungsreich arrangierten Indie-Folk-Rocks muss sich Dacus auch keine Sorgen darum machen, dass ihre Worte in seichten Gewässern steckenbleiben.

"Forever is a feeling" ist das erste Album eines Boygenius-Mitglieds, das nach dem Grammy-prämierten "The record" erscheint. So, wie dieser Mega-Erfolg seine Schattenseiten mit sich trug – alle drei Frauen nahmen danach Therapie in Anspruch und haben das Projekt für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt –, ist auch Dacus' Platte von Ambivalenzen geprägt. Der wunderwunderschöne Quasi-Opener "Big deal" erstreckt sich auf einem schwebenden Fundament aus Akustikgitarre und Drums und wirkt auch mit der Injektion weiterer instrumentaler Schichten so trostvoll und in sich ruhend, wie Musik nur sein kann. "Ankles" treibt dahingegen als drängelnder Orchester-Pop nach vorn, inszeniert sich klassisch mit Streichern und Cembalo, während es die Lust als eines der dominanten Themen des Albums einführt. Deren expliziter Ausdruck verwundert höchstens im ersten Moment, schließlich ist es noch gar nicht so lange her, dass Dacus die "horny poetry" eines Leonard Cohen angepriesen hat.

So evoziert "Forever is a feeling" inklusive seines Ölgemälde-Covers zwar weniger Intimität als sein Vorgänger, schafft es aber gleichzeitig, neue Persönlichkeitsfacetten der US-Amerikanerin freizulegen. "Limerence" verkörpert dieses Spannungsfeld, wenn es Alltagseindrücke vom Kiffen und GTA-Spielen in eine theaterhafte Piano-Ballade verpackt. Trotz des durchgehend gemäßigten Gestus setzt Dacus ihre Songs zudem äußerst variabel in Szene. "Modigliani" reiht sich bei den subtilen, dennoch tief ins Ohr drückenden Popsongs ein, die immer noch zünden, egal wie oft Dacus und Kolleginnen sie aus dem Ärmel schütteln, bevor "Talk" mit bedrücktem Gesang, Schepper-Rhythmus und Verstärkerrauschen kurz ins Soft-Grunge-Bad abtaucht. Ihren allergrößten Auftritt haben die Gitarren allerdings im späten Highlight "Most wanted man", in dem sich akustische und elektrische Saiten schon im Intro herrlich umeinanderschlingen, ehe sie den Rest des mitreißenden Tracks befeuern.

Generell finden sich die meisten Höhepunkte in der zweiten Albumhälfte. Im Harfen-unterstützten "Come out" verschränken sich die Beschwernisse des Fames mit der Sehnsucht nach einer geliebten Person, was Dacus mit einer ihrer schönsten Melodien untermalt. Das ebenfalls besonders zärtliche "Bullseye" kann nicht einmal Hozier kaputtmachen – übrigens der einzige aus einer Liste namhafter Gäste (Bartees Strange! Jay Som! Die anderen Boygeniusse!), der abseits von Background-Vocals und eventueller Produktions- oder Instrumentalbeiträge deutlich herauszuhören ist. Ganz zum Schluss gibt sich "Lost time" entgegen seinem Titel nicht der Nostalgie hin, sondern feiert eine Liebe, die aus einer Freundschaft gewachsen ist – gut möglich, dass Dacus damit ihre Partnerin Julien Baker meint. Der einzige Ausbruch der Platte beschließt den Song und unterstreicht das darin zum Ausdruck kommende Glück auf fulminante Weise. Manchmal ist die Gegenwart doch gar nicht mal so scheiße.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Big deal
  • Come out
  • Most wanted man
  • Lost time

Tracklist

  1. Calliope prelude
  2. Big deal
  3. Ankles
  4. Limerence
  5. Modigliani
  6. Talk
  7. For keeps
  8. Forever is a feeling
  9. Come out
  10. Best guess
  11. Bullseye (with Hozier)
  12. Most wanted man
  13. Lost time
Gesamtspielzeit: 43:32 min

Im Forum kommentieren

MickHead

2025-03-28 11:50:30

Jetzt komplett bei Bandcamp:

https://lucydacus.bandcamp.com/album/forever-is-a-feeling

Rolling Stone 4.5/5

https://www.rollingstone.de/reviews/lucy-dacus-forever-is-a-feeling/

Armin

2025-03-26 20:23:12- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

ijb

2025-03-20 06:44:58

Portrait von Amanda Petrusich im New Yorker:

https://www.newyorker.com/magazine/2025/03/24/the-subversive-love-songs-of-lucy-dacus

MickHead

2025-03-12 18:50:39

Neuer Song "Talk"

https://youtu.be/dhKTYG5cpc0?si=DdTjPRycp6Ts9qMk

Saschek

2025-03-11 18:47:59

Bzw. Stillstand auf einem gewissen Niveau, um es etwas gnädiger auszudrücken.

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