
Bambara - Birthmarks
Bella Union / Rough TradeVÖ: 14.03.2025
Kopf hoch, tanzen!
Der deutsche Kunsthistoriker Günter Metken hat einmal im Interview mit einer großen Tageszeitung auf die Frage, woran man ein echtes Kunstwerk erkenne, folgende Antwort gegeben: "Daran, dass Sie es nicht mehr vergessen können." Es mag vielleicht etwas vermessen wirken, diesen Satz angesichts unserer schnelllebigen Zeit auf ein Musikalbum anzuwenden, aber egal: Wir würden sagen, das kann man hier mal machen. Auf "Birthmarks" schafft die Band Bambara es nicht nur, das eh schon hohe Niveau des Vorgängers "Stray" zu halten, sondern noch einmal deutlich zu steigern. Dieses Votum hat der Rezensent nicht mal eben aus der Hüfte heraus abgegeben, sondern nach reiflicher Überlegung und intensiver Beschäftigung mit diesem Album, das schon seit Dezember vorliegt. Was bekanntermaßen ein zweischneidiges Schwert ist: Während manche Alben über die Wochen und Monate wachsen, gibt es ebenso viele, die leider auch schrumpfen, was bekanntlich einer positiven Grundhaltung auch mal den Dolch in den Rücken rammen kann. Die Begeisterung für "Birthmarks" setzte hingegen beim ersten Hören ein und ist bis heute ungebrochen.
Alle Tracks sind auf ihre Weise einzigartig und stark. Zudem gelingt es der Band auf fast schon cineastische Art und Weise, Dutzende von Referenzbands vor dem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen, ohne dabei aber jemals abkupfernd oder epigonal zu wirken. So ziemlich alles, was in der Rubrik Postpunk Rang und Namen hat, blitzt immer wieder kurz – oder auch länger – auf, wenn man Bambara zuhört. Der Opener "Hiss" vereint die schwärenden Synthies der Darkwaver The Danse Society mit den puckernden Beats von Cassandra Complex – biegt aber dann auch dank der ätherischen weiblichen Backing Vocals nochmal in eine zuversichtliche Richtung ab. Die ersten Takte von "Letters from Sing Sing" hätten Interpol zur "Antics"-Zeit nicht besser komponieren können, wenig später lugt aber schon die poppige Exaltiertheit der Killers um die Ecke, konterkariert von fiesen Orchester-Hit-Samples à la Drafi Deutscher. Das völlig verpeilte und schlafwandlerische "Elena's dream" wiederum klingt, als hätten Bohren & Der Club Of Gore eine Gastsängerin engagiert. "Because you asked" lässt sich Zeit für einen mustergültigen Songaufbau: mit einem todtraurigen, sparsam instrumentierten Intro, das über eine Minute andauert und dann aber langsam einen konzertant gespielten Bass mit raffinierten Chorsamples und suchend-umherirrenden Drums hinzufügt. Zentraler Superhit ist auf jeden Fall "Holy bones": Während Sänger und Gitarrist Reid Bateh zu Beginn noch missgestimmt wie Rowland S. Howard oder auch ein unausgeschlafener Nick Cave vor sich hingrummelt, gibt's wenig später einen Refrain, der sich bereits beim allerersten Hören so tief ins Fleisch schneidet, dass man ihn wohl nie mehr so ganz vergessen kann (womit wir wieder beim Kunstkritiker von oben wären).
Das Sounddesign von "Birthmarks" ist geradezu herausragend, weil es den Spagat schafft, einerseits von Song zu Song ganz unterschiedliche Stimmungen zu evozieren, dabei aber zugleich nicht zu zerfasern oder uneinheitlich zu wirken. Bambara erschaffen regelrechte Klanglandschaften, die von klaustrophobisch eng bis weiträumig, von düster bis zum hellen Strahlen, vom Spröden bis hin zu Zuckerguss und Feenstaub à la Prefab Sprout oszillieren. Vor allem Batehs Stimme wird geradezu aufs Podest gestellt. Ob er vor sich hinmurmelt oder croont, ob er wehklagend oder wütend bellt wie Protomartyrs Joe Casey – wir haben hier einen echten Frontmann, der die gesamte Klaviatur der Emotionen bespielen kann. Der Bass ist größtenteils tiefschwarz und konturiert, die Drums zeigen einen raffinierten Mix aus live eingespielten Basic Tracks und Sequenzerprogrammierungen. Die Gitarren können vom disparaten, verhallten Fingerpicking bis hin zu Powerchord-Breitseiten changieren – und das alles wird kunstvoll von synthetischen Klängen eingerahmt und unterstützt.
Die größte Stärke dieses Ausnahmealbums ist aber vermutlich, dass es der Band immer wieder gelingt, aus einer tristen, ja depressiven Ausgangssituation heraus Energie und Zuversicht zu mobilisieren. Ja, die Welt ist nicht gut eingerichtet, das darf man ja auch mal sagen. Aber Bambara verlieren sich nie in destruktiver Larmoyanz oder weltfremdem Eskapismus – irgendwann wird in fast jedem Song ein Schalter umgelegt, und dann geht's ab wie Schmidts Katze. Bei einer Vielzahl der Tracks möchte man spätestens zum Refrain hin auf eine Tanzfläche hüpfen, die – bitteschön! – laut zischend mit einem geziemenden Quantum aus müffelndem Kunstnebel gefüllt und von reichlich Stroboskoplicht beflackert wird. Hier werden verlässlich Trauer und Weltschmerz in Zuversicht und ein "Jetzt erst recht!" verwandelt. Nachdem der hochenergetische Rausschmeißer "Loretta" abgeklungen ist, bleibt eigentlich nur eine Option: Nochmal hören, tanzen, glücklich sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hiss
- Letters from Sing Sing
- Holy bones
- Loretta
Tracklist
- Hiss
- Letters from Sing Sing
- Face of love
- Pray to me
- Holy bones
- Elena's dream
- Because you asked
- Dive shrine
- Smoke
- Loretta
Im Forum kommentieren
JohnWesley
2025-04-21 13:16:25
Die musikalischen Referenzen reichen zurück bis in die letzten Jahre der Siebziger. Klangkostüme einer neuartigen Indieszene werden überzeugend in die Jetztzeit transformiert. Punk und Wave Einflüsse sind deutlich wahnehmbar und werden nicht durch ein möglichst modernes Produktionsdesign verfälscht. Sänger Reid Bateh erinnert angenehm an Nick Cave und Tom Barman, manchmal kontariert von diversen Sängerinnen.
Das Album wurde offenbar über einen Zeitraum von elf Monaten zwischen 2023 und 2024 mit Liebe zum Detail geschaffen. Stand jetzt sind meine Favoriten "Face Of Love", "Holy Bones", "Elena's Dream", "Because You Asked". Und falls "Smoke" irgendwann in einem Spielfim verwendet werden sollte, für mich wäre das keine Überraschung.
Dieses Album bekommt von mir eine sichere 8/10.
Hierkannmanparken
2025-03-29 17:30:39
Wenn ich mit Gewalt versuche, die 9 rauszuhören, dann zündet es nicht. Wenn Loretta zufällig von der Playlist angespült wird, ist es doch ziemlich gut.
Grizzly Adams
2025-03-21 17:44:39
Der Gesang stört mich kein bisschen. Passt wunderbar zur Musik. Sehe das ähnlich wie Jochen in der Rezi. Ein Album, welches mindestens mal geistig zum Tanzen auffordert, selbst wenn der Körper die nötigen Bewegungen - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr hergibt. Mir gefällt‘s. Bin mir allerdings unsicher über die Halbwertszeit. Ob s in ein paar Monaten immer noch genügend Potenzial hat, dass ich es gerne hören mag. Oder ob es eher etwas für größere Hörabstände ist. Das liegt aber bei mir eher am Genre. Bin bei einer wohlwollenden 8/10.
saihttam
2025-03-21 00:32:47
Interessant, wie hier der Gesang ganz unterschiedliche Empfindungen auslöst. Von zu gelangweilt bis zu theatralisch. Ich störe mich allerdings auch ein bisschen daran. Finde ihn irgendwie zu penetrant und auch etwas zu selbstgefällig. Und vielleicht dafür dann wirklich auch zu wenig einprägsam in den Gesangslinien. Will irgendwie zu viel oder wird den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Naja, nicht ganz meins. Aber ich bleibe mal dran.
NeoMath
2025-03-18 10:45:11
Ich finde das Album musikalisch, von den Ideen und von den Texten her sehr gelungen.
Einziges Manko ist meines Erachtens das häufige Fehlen von geilen Gesangslinien, die kleben bleiben. Dieses oftmals etwas lustlos wirkende "Runtersingen" des Textes wirkt einfallslos. "Holy Bones" ist da eine Ausnahme und das beste Beispiel, dass es wohl doch geht; mehr in dieser Art hätte ich mir gewünscht. Keine Ahnung, ob der Sänger es stimmlich nicht kann bzw. das alles ist, was ihm künstlerisch zur Verfügung steht.
Ich bin mir aber sicher, dass -wenn hier mehr prägnante Gesangslinien am Start gewesen wären- dies eines der herausragenden Alben des Jahres hätte sein können.
So jedoch bleibt es ein Kratzen am Pokal, der noch (noch!) außer Reichweite liegt.
7/10
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