Clipping. - Dead channel sky

Sub Pop / Cargo
VÖ: 14.03.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Dystopische Dissonanzen

Clipping. haben sich schon längst als Band etabliert, deren Erzählen über die medialen Grenzen der Musik hinausweist. Das betrifft zum einen das Film- und Theaterschaffen von Frontmann Daveed Diggs: Wenn er nicht zwischen den noisigen Experimental-HipHop-Instrumentals seiner Kollegen zappelt, zeigt er seine Skills gerne in familienfreundlicheren Umgebungen wie dem Live-Action-Remake von "Arielle" oder dem Musical-Phänomen "Hamilton". Doch auch die Alben von Clipping. sind dezidiert cineastisch – siehe das Horror-Doppel aus "There existed an addiction to blood" und "Visions of bodies being burned" sowie die Konzeptplatte "Splendor & misery", die sogar mit dem Hugo Award, einem renommierten Preis für Science-Fiction-Literatur, ausgezeichnet wurde. "Dead channel sky" erscheint nun mit einem ausführlichen Promo-Waschzettel, in dem Autor Roy Christopher die Verschränkung von Cyberpunk und Hip-Hop-Kultur nachzeichnet, was als Leitmotiv dieses Albums dient. Mit Rückgriffen auf Rave, Drum'n'Bass oder Big Beat erschaffen Clipping. eine retrofuturistische Dystopie, die sich mit dem Vokabular der Musikkritik mal wieder kaum erfassen lässt.

Zu Beginn äußert sich dieser Ansatz in kompromisslosen Dancefloor-Abrissen. "Dominator" zitiert den gleichnamigen Hardstyle-Track der Niederländer Human Resource und schnürt einem die Kehle mit Techno-Synths und Störgeräuschen zu, während Diggs wie immer sein Ding durchzieht, obwohl alles um ihn herum längst in Trümmern liegt. Das wie The Prodigy im Mixer klingende "Change the channel" führt das Momentum fort, erst "Run it" fährt das Tempo herunter – natürlich nicht, ohne an allen Ecken und Enden zu zerren und am Schluss komplett im Acid-Bad zu versinken. Ohrenschmeichelei ist etwas anderes, doch sind Clipping. keine Sadisten, die den Noise zum Selbstzweck verkommen lassen. Geschichten und Emotionen stehen im Vordergrund, und wenn diese nicht gerade im Feel-Good-Regal angesiedelt sind, klingt's halt so, wie es klingt.

In diesem Sinne beherrscht es das kalifornische Trio wunderbar, durch die Musik mindestens genauso viel wie mit Worten zu erzählen. Das famose "Dodger" bewegt sich mit hypernervösem Beat und einem besonders aufgestachelten Diggs zwischen Panikattacke und Roboteraufstand, bevor Streicher für ein wahnsinnig intensives Finish dazukommen, das eine Art Happy End evoziert. Klar, dass danach nur ein Verschnaufer in Form des Interludes "Malleus" folgen kann, in dem Wilco-Gitarrist Nels Cline sein Instrument auf der Werkbank zerlegt. Dass Diggs und Co. es auch entspannter können, beweist "Keep pushing", das sich im Midtempo an synthetischen Schlammpfützen vorbeigroovt und sich für eine umwerfende Hook mit Piano und später erneuten Streichern öffnet. Wie Clipping. inmitten des Chaos solche Melodien entblößen, fasziniert immer wieder aufs Neue.

Trotz der düsteren Grundstimmung und akustischer Alpträume wie das sich jeder Form noch so kleiner Zugänglichkeit verweigernde "Polaroids" wirkt "Dead channel sky" weniger von Ängsten zerfressen als sein direkter Vorgänger. "Mirrorshades pt. 2" geht gar als sowas wie ein Spaß-Track durch, wenn Diggs und das kanadische Schwestern-Duo Cartel Madras mit gefühlloser, sonnenbebrillter Coolness durch den Club cybern. Auch am Ende der Platte gibt es keinen Heldentod, sondern im Gegenteil das relaxt-epische "Welcome home warrior" mit Unterstützung von Aesop Rock – doch der eigentliche Closer "Ask what happened" will sich nicht auf seinem meditativen Glocken-Intro ausruhen. "History and future belong to the one percent", rappt Diggs auf einem Hochgeschwindkeits-Jungle-Beat, der sich später mit kontrastierenden. sphärischen Synths in einen Rausch zittert. Ein Reminder, dass die wahren Dystopien nicht in Literatur, Film oder Konzeptalben experimenteller Hip-Hop-Bands zu finden sind – aber auch, dass der künstlerische Widerstand dagegen so lebendig wie eh und je ist.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dominator
  • Dodger
  • Keep pushing
  • Ask what happened

Tracklist

  1. Intro
  2. Dominator
  3. Change the channel
  4. Run it
  5. Go
  6. Simple degradation (Plucks 1-13) (with Bitpanic)
  7. Code
  8. Dodger
  9. Malleus (with Nels Cline)
  10. Scams (feat. Tia Nomore)
  11. Keep pushing
  12. From bright bodies (Interlude)
  13. Mood organ
  14. Polaroids
  15. Simple degradation (Plucks 14-18) (with Bitpanic)
  16. Madcap
  17. Mirrorshades pt. 2 (feat. Cartel Madras)
  18. And you called (Interlude)
  19. Welcome home warrior (feat. Aesop Rock)
  20. Ask what happened
Gesamtspielzeit: 53:48 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2025-03-27 21:15:11

Ja ich bin auch sehr angetan...

myx

2025-03-27 20:46:22

Mal wieder auf den Ohren gehabt. Genau mein Ding, ziemlich atemberaubender Trip.

myx

2025-03-19 11:06:06

Das Album ist absolut fantastisch, gehört zum Besten, Frischesten und Coolsten im bisherigen Jahr. Die 8,5/10 von MrMan unterschreibe ich allemal.

MickHead

2025-03-19 10:13:04

Laut.de 4/5

https://laut.de/Clipping./Alben/Dead-Channel-Sky-124952

MrMan

2025-03-14 18:53:20

Ziemlich fett. Fuer mich bisher eine stabile 8.5/10.

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