
Polly Paulusma - Wildfires
One Little Independent / BertusVÖ: 28.02.2025
Weil es Liebe ist
Wenn kleine Namen der Musikwelt mit den ganz großen zusammenkommen, kann das für bislang eher unbekannte Acts ein Sprungbrett sein. Manchmal hinterlassen die vermeintlich Kleinen als Opener beim Publikum dann sogar solch bleibenden Eindruck, dass die Großen sich in der Position des Headliners strecken müssen. Aber: Das läuft nicht immer so, und oft ändert sich bei den Unbekannten dann doch nichts. Das gilt beispielsweise für Polly Paulusma. Die war zuvor unter anderem bereits mit dem großen Bob Dylan und den stadionerprobten Coldplay unterwegs, ist über den Status eines Geheimtipps aber eher nicht hinausgekommen. Etwas mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Beginn ihres künstlerischen Schaffens hat die britische Singer-Songwriterin nun allerdings ein Album eingespielt, das in vielfacher Hinsicht Grenzen sprengt und alles mitbringt, was es braucht, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
"Wildfires" wirkt dabei zunächst einmal wie eine pure Überforderung. 38 Titel, in der Vinylversion gleich drei Platten und eine Spielzeit von fast zwei Stunden – ist das mutig, verrückt oder tollkühn? Es ist vor allem: besonders. Paulusma hat mit ihrer Spielart des Folks schon auf den Vorgängeralben eine beständig hohe Qualität erreicht, auf ihrem neuesten Streich, den man wohl als Opus Magnum bezeichnen darf, übertrifft sie sich allerdings selbst. Die Musikerin hat wahrhaft viel zu erzählen, und eben das tut sie in außergewöhnlicher Form. Es sind nämlich gar keine 38 Songs auf "Wildfires", sondern 19. Hinzu kommt dieselbe Zahl an kürzeren Prologen, die sie mal im Studio, mal in der freien Natur oder in anderen Räumlichkeiten aufgenommen hat. Klingt anstrengend? Ist es nicht! Da sie sich eben nicht auf möglicherweise ermüdendes Erklären konzentriert hat, sondern mit den Formen spielt, geraten die Zwischenstücke zu einer eigenen und jederzeit berechtigten Kunstform.
So reduziert oder sogar zaghaft "Wildfires" daherkommt, so vorsichtig tastend muss man sich wohl auch den Entstehungsprozess des Ganzen vorstellen. Nach einer Schreibphase, die nach eigenem Bekunden viel Zeit eingenommen hat, stand zwar früh fest, dass eine enorme Menge an Musik zusammenkommen würde. Die Zweifel und Sorgen, die Polly Paulusma hinsichtlich einer Konzentration auf vielleicht ein Dutzend Songs umtrieben, nahm ihr schließlich Produzent Ethan Johns, der zuvor unter anderem mit Laura Marling zusammengearbeitet hatte. Der ermutigte sie, in großen Dimensionen zu denken und dem Ungewöhnlichen den angemessenen Raum zu geben. Das schloss Aufnahmen der Spoken-Word-Passagen in einer Kirche, inmitten von Steinen oder in der Nähe von Wasser mit ein. Im Studio, wo die eigentlichen Songs binnen weniger Tage eingespielt wurden, holte er das Bestmögliche aus der Sängerin und den beiden beteiligten Musikern Jon Thorne und Neil Cowley heraus.
Das ausufernde Großwerk, das in die beiden Teile "Sparks" und "Embers" aufgeteilt ist und sich inhaltlich um alle Aspekte der Liebe rankt, wirkt wie das vertonte Pendant eines jener 1.000-Seiten-Schinken, die man gebannt verschlingt und bei denen man kurz vor Schluss nichts so sehr fürchtet wie das nahende Ende. Zu einem entscheidenden Teil liegt das natürlich auch an der wunderbaren Stimme Paulusmas, die all die Songperlen unaufgeregt in Szene setzt und die zurückhaltende, jederzeit stimmige Instrumentierung nie an die Wand drückt. Gewiss gibt es einzelne Stücke, die aus dem sanft dahinströmenden musikalischen Fluss ein wenig herausragen. Das einleitende "Paper cathedral" ist dafür ein Beispiel, aber auch spätere Diamanten wie "Dunstable downs" oder "Cabin in the woods". Ihre größte Wirkung erzielt diese Kunst aber durch ihren inneren Zusammenhang. Natürlich ist "Wildfires" ein Anachronismus in der heutigen Musikwelt, in der trotz all der anderslautenden Behauptungen viel Wert auf Klicks und Algorithmen gelegt wird. Dass sich viele Kreativköpfe um derlei Aspekte nicht scheren und einfach ihrer Inspiration nachgehen, ist ein großes Geschenk. Und dafür bedarf es keines großen Namens.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Paper cathedral
- Dunstable downs
- Eyes on the road
- Cabin in the woods
- Last night I had a dream
- Throw me to the dogs
- Tiny little things
Tracklist
- CD 1
- Prologue to Paper cathedral
- Paper cathedral
- Prologue to Mary Louise
- Mary Louise
- Prologue to Red flags
- Red flags
- Prologue to Dunstable Downs
- Dunstable Downs
- Prologue to Over and over
- Over and over
- Prologue to O! my America
- O! my America
- Prologue to Eyes on the road
- Eyes on the road
- Prologue to Wild swimming
- Wild swimming
- Prologue to Cabin in the woods
- Cabin in the woods
- Prologue to Scars
- Scars
- CD 2
- Prologue to last night I had a dream
- Last night I had a dream
- Prologue to Mad girl's love song #2
- Mad girl's love song #2
- Prologue to Throw me to the dogs
- Throw me to the dogs
- Prologue to Wait you waiting for
- Wait you waiting for
- Prologue to Tip of my tongue
- Tip of my tongue
- Prologue to Long goodbye
- Long goodbye
- Prologue to May day
- May day
- Prologue to You are everything
- You are everything
- Prologue to Tiny little things
- Tiny little things
Im Forum kommentieren
zolk
2025-03-19 14:26:28
Na wenigstens hat sie nicht den Fehler einer prominente Kollegin gemacht, dessen Name mir hier gerade nicht einfällt, die sich letztes Jahr erdreistet hatte, ein Album rauszuhauen, das länger als 2 Stunden war.
Dieses Album gefällt mir schon beim ersten Durchlauf ziemlich gut. Ich finde, Polly hat eine ausgesprochen wohlklingende Stimme und schafft es auch in den höheren Tonlagen immer noch die Kurve zu kriegen, bevor es schmerzt. Freue mich auf weitere Durchläufe :-)
Die Prologe habe ich aus der Playliste entfernt, Problem gelöst...
Enrico Palazzo
2025-03-05 20:28:02
Schönes Album! Aber ganz schön lang.
"Over and over" könnte auch fast auf der Mezzanine sein. Ich bin eh positiv beeindruckt von der stilistischen Bandbreite der Platte.
Sick
2025-02-28 17:41:38
Also diese ständigen Prologe sind zwar kunstvoll, aber mich stört das. Macht den Albumfluss kaputt. Nicht meins.
Aber die eigentlichen Songs sind richtig toll. Wunderschön gesungen.
Trotz der ständigen Prologe ein wunderbares Album. 8/10 passt schon.
P.S.: "Red Flags" gehört in die Highlights. :)
MickHead
2025-02-28 12:43:13
Jetzt komplett bei Bandcamp:
https://pollypaulusma.bandcamp.com/album/wildfires-2025
Gaesteliste.de
https://www.gaesteliste.de/review/show.html?id=67c1a07337684370&_nr=22881
Armin
2025-02-27 19:46:21
Dann brauchst Du noch eine Weile, bis Du durch bist.
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