
Mdou Moctar - Tears of injustice
Matador / Beggars Group / IndigoVÖ: 28.02.2025
Der Kampf geht weiter
Spätestens seitdem Tinariwen einen Grammy erhalten haben, ist die Musik der Turaeg auch Menschen außerhalb der Wüste ein Begriff. Mdou Moctar, der seine Band der Einfachheit halber nach sich selbst benannt hat, sorgte spätestens mit dem umjubelten "Afrique victime" für Aufsehen – und das zurecht. Einen Gitarristen wie Moctar hat die Welt noch nicht gehört. Sein Spiel ist frei, kreativ, zügellos, seine Kompositionen sind oft ausufernd, aber stets höchst melodisch. Gemeinsam mit seinen Bandkollegen Ahmoudou Madassane, Souleymane Ibrahim und Mikey Coltun tourte er einmal um die Welt, was nicht nur für noch mehr Hype sorgte, sondern auch zum nicht minder begeistert aufgenommenen Werk "Funeral for justice" führte. Dass nun mit "Tears of injustice" eine akustische Neueinspielung des Albums erscheint, ist in erster Linie politischer Ereignisse im Niger, dem Heimatland Moctars, geschuldet.
Denn Mdou Moctar waren und sind eine politische Band, die sich mit Themen wie Postkolonialismus, Korruption und Krieg beschäftigt. Die Wut, die "Funeral for justice" prägte, sucht man auf der Reinterpretation vergeblich, denn nun richtet sich der Blick nach innen. Die Folgen des Putsches im Niger sorgten bei Moctar für ein Innehalten, was sich musikalisch in improvisatorisch angelegten Meditationen über bekannte Motive niederschlägt. Im Zentrum steht noch immer sein virtuoses Gitarrenspiel, das federleicht über den meist komplex synkopierten Rhythmen schwebt. Typisch für die Tuareg-Musik sind Call-and-Response-Strukturen, welche auch auf "Tears of injustice" in vielen Songs zum Einsatz kommen. Dies verleiht der Musik eine Intimität, die durch die herausragende Produktion noch verstärkt wird. Jedes Instrument klingt glasklar, der Gesang erhält genau so viel Raum, wie er benötigt.
Überhaupt befindet sich kein Gramm Speck an den Kompositionen, selbst wenn sie wie "Imouhar" epische Ausmaße annehmen. Verantwortlich dafür ist nicht nur die spärliche Instrumentierung, sondern auch die bewusste Reduktion auf wenige, aber umso eindringlichere Motive. Moctar variiert sie, mal mehr, mal weniger, nur um schlussendlich wieder zum Ausgangspunkt zurückzufinden, wo sie sich in Wohlgefallen auflösen. Dieses Kreisende, dieses Betörende ist es, was Moctars Musik so einnehmend macht. Einzelne Songs herauszuheben fällt schwer, da das Niveau durchgehend hoch ist. Freilich muss man sich mit den bewusst gewählten stilistischen Limitierungen abfinden, die ein fast ausschließlich auf akustischen Instrumenten eingespieltes Album mit sich bringt. So gibt es zwar keine überraschenden Ausbrüche, die kunstvoll gesetzten melodischen Exkurse ziehen dafür umso mehr in den Bann.
In "Sousoume tamacheq" agiert die Band beispielsweise äußerst zurückhaltend, wodurch die Gesangsmelodie besonders stark zur Geltung kommt. Ein plötzlicher Rhythmuswechsel übergibt das Zepter an Bass und Schlagzeug, welche sich furios um die Vorherrschaft über das weitere Vorgehen duellieren. Doch eine Beschreibung der Musik greift bei Mdou Moctar selbstverständlich zu kurz. Es geht ihm und seinen Mitstreitern um mehr, die Musik ist ein Vehikel, ein Werkzeug, um Missstände anzuprangern. Die globale Maschine der Gier erzeugt Leichen. Das Trauma, auf dem der Reichtum des Westens gebaut ist, ist kein Gegenstand der Geschichte, sondern Gegenwart und aller Wahrscheinlichkeit auch Zukunft. Wer Freiheit damit gleichsetzt, sich bedienen zu dürfen, setzt Unrecht fort. "Modern slaves" lautet der Titel des letzten Songs und er meint damit nicht nur die Menschen im Niger, sondern alle, die für den Erhalt des Elfenbeinturms bluten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Imouhar
- Sousoume tamacheq
- Modern slaves
Tracklist
- Funeral for justice
- Imouhar
- Takobar
- Sousoume tamacheq
- Imajighen
- Tchinta
- Oh France
- Modern slaves
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Armin
2025-02-24 19:53:01- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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