Everything Is Recorded - Temporary

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 28.02.2025
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Das geht vorbei

Na, wie wär's? "Friday forever"? Oder zu alt für den Scheiß? Bei XL-Labelchef Richard Russell, mittlerweile über 50, wäre Letzteres zumindest denkbar. Und fokussierte sich das gleichnamige Album seines Projekts Everything Is Recorded noch auf den minutiös festgehaltenen Verlauf einer Club-Sause, versucht sich "Temporary" nicht mehr krampfhaft an die Nacht von Freitagabend auf Montagmorgen zu erinnern. Das Wochenende schlägt sich Russell nämlich offenbar mehr denn je im Studio um die Ohren – das wilde Leben ist dann wohl vorbei. Irgendwann ist auch das ganze Leben vorbei, sodass es musikalisch eine Menge nachzuholen gilt. Und der Londoner macht sich nunmehr zusehends Gedanken darüber, wie seine Karriere wohl ausgesehen hätte, wäre er in jungen Jahren nicht auf Elektro und HipHop, sondern auf Bob Dylan oder Nick Drake abgefahren.

Eine Frage, die man sich als versierter, ganzheitlich orientierter Musiker durchaus stellen kann. Woraus folgt, dass der dritte Longplayer von Russell samt Kollektiv nur mehr zögerlich die Tanzfläche betritt und stattdessen eher Innen- und Woandershinschau betreibt. Eins bleibt immerhin beim Alten: Wer in den Räumlichkeiten des Briten auftaucht, hängt mit drin. Everything is recorded. Von Russell nebst seinem Bassisten und Groove-Beauftragten Jah Wobble, und auch Neo-R'n'B-Mann Sampha und Jazz-Virtuose Alabaster DePlume reiben sich schon die Hände ob der so illustren wie prallvollen Gästeliste. Da hinten in der Ecke hockt sogar Samantha Morton, Darstellerin von Ian Curtis' Frau Deborah im Joy-Division-Biopic "Control" und bekannt vom aus ihr und Russell bestehenden Melancholie-Hop-Duo Sam Morton. Den Vortritt lässt sie freundlicherweise anderen.

Etwa Florence Welch, Maddy Prior von Steeleye Span oder Bill Callahan, der gleich in zwei Songs zu hören ist. Womit sich in gewisser Weise ein Kreis schließt, denn vom Ex-Smog-Mastermind stammte schon das Titelstück von Gil Scott-Herons "I'm new here", das Russell 2010 kuratierte. Callahan lässt nicht nur den rauen Rumpler "Norm" da, sondern in "Porcupine tattoo" auch ein Duett mit Miley Cyrus' Schwester Noah – unwahrscheinliche Kombination, aber auch kein Wunder, wenn Vater Billy Ray unter Regie von David Lynch in "Mulholland Drive" einmal Justin Theroux aufs Maul hauen durfte. Es bleibt eine famose, elektrifizierte Americana-Weise, die nach dem verhuschten Auftakt "My and me" gerade recht kommt. Ebenso wie "Never felt better", in dem Welch zu wallendem Piano jubiliert, oder "Ether", wo Priors Stimme auch zu Cut-Up-Elektronik funktioniert.

Auch Sampha überzeugt als vorzüglicher Sänger, dem Russell mit "Losing you" einen schmatzenden Upbeat-Track zuschachert – da fällt auch Jungle, Jamie xx oder Sault im Funk-Modus das Stillsitzen schwer. Eine Ausnahme auf "Temporary", hört man das schwermütige "You were smiling" mit Morton am Mikro oder das weitgreifende, jedoch arg behäbig durchgeschleppte "No more rehearsals", bei dem die Vielzahl an Features noch nicht für Schlüssigkeit garantiert. Besser machen es "The meadows", das beschwingt zwischen Morgenluft und Blumenduft oszilliert, und "Swamp dream #3" mit leicht verrauschtem Dream-Pop-Faktor und einer sanft entschwebenden Clari Freeman Taylor vom Londoner Indie-Trio Mary In The Junkyard. Integrationsfigur. War ja klar: Russell hat wieder genug dabei, das man mögen kann. Und was man weniger mag, geht auch vorbei.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Porcupine tattoo (feat. Noah Cyrus and Bill Callahan)
  • Losing you (feat. Sampha, Laura Groves, Jah Wobble and Yazz Ahmed)
  • Norm (feat. Bill Callahan)
  • Swamp dream #3 (feat. Mary In The Junkyard)

Tracklist

  1. October
  2. My and me (feat. Sampha, Laura Groves, Ricky Washington and Alabaster DePlume)
  3. Porcupine tattoo (feat. Noah Cyrus and Bill Callahan)
  4. Never felt better (feat. Sampha, Florence Welch and Alabaster DePlume)
  5. Ether (feat. Maddy Prior)
  6. Losing you (feat. Sampha, Laura Groves, Jah Wobble and Yazz Ahmed)
  7. Firelight (feat. Florence Welch, Berwyn and Alabaster DePlume)
  8. The summons
  9. No more rehearsals (feat. Jah Wobble, Roses Gabor, Jack Penate, Yazz Ahmed and Alabaster DePlume)
  10. You were smiling (feat. Samantha Morton and Alabaster DePlume)
  11. Norm (feat. Bill Callahan)
  12. Swamp dream #3 (feat. Mary In The Junkyard)
  13. The meadows (feat. Roses Gabor, Danielle Ponder, Kamasi Washington and Ricky Washington)
  14. Goodbye (Hell of a ride) (feat. Nourished By Time)
Gesamtspielzeit: 47:22 min

Im Forum kommentieren

Samuel Herring

2025-03-12 17:12:40

Unglaublich tolles Album.
Die 6 von PT muss man nicht verstehen.

Arne L.

2025-03-10 10:58:59

Album der Woche bei radioeins. Hab so nebenbei ein bisschen was gehört, klingt angenehm.

embele09

2025-02-28 22:29:04

Erst ein Durchgang. Mein Ersteindruck ist schon sehr gut. Muss ich mir aber noch öfter anhören um etwas mehr darüber sagen zu können. Ein angenehm ruhiges Album, das sich im Ganzen fast wie ein Hörspiel anhört, so oft wechseln die Stimmen und Stimmungen. Wie immer bei Richard Russell schön deep. Freu mich auf den nächsten Durchlauf.

Armin

2025-02-24 19:52:00- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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