
Youth Lagoon - Rarely do I dream
Fat Possum / MembranVÖ: 21.02.2025
Eine eigene Geschichte
Das Jahr 2023 markierte für Trevor Powers eine fulminante Rückkehr zu seinem musikalischen Wesenskern. Acht Jahre zuvor hatte er sein Projekt Youth Lagoon auf Eis gelegt. Vorübergehend? Für immer? Seine gar nicht einmal allzu kleine Fangemeinde blieb mit diesen intensiven Überlegungen zunächst weitgehend allein, wenngleich der US-Amerikaner nicht gänzlich abtauchte und unter seinem bürgerlichen Namen zwei Veröffentlichungen folgen ließ. Qualitativ vermochten diese mit dem vorherigen Output bei allem Respekt vor seinem Schaffen nicht mitzuhalten, entsprechend groß waren die Erwartungen, als schließlich "Heaven is a junkyard" angekündigt wurde. Das vierte Studiowerk war, genau wie die großartigen Vorgänger, ein weiterer Nachweis seiner besonderen Kunst. Und bevor die Fans des Mannes aus Boise in Idaho erneut in mögliche Sorgen um eine Fortsetzung seines Schaffens ausbrechen können, legt er nach: "Rarely do I dream" sorgt für Nachschub aus dem Hause Youth Lagoon.
Die Entstehungsgeschichte des Vorgängers war von wahren Grenzerfahrungen geprägt, denn nach einer fehlgelaufenen Medikation sah sich der versierte Songwriter mit einem beängstigenden Zustand konfrontiert, der alles infrage stellte. Nachdem er sich daraus befreit hatte, war der Kopf wieder klar für neue Taten. Album Nummer fünf wiederum führte Youth Lagoon in ganz andere Dimensionen. Ein Kellerfund öffnete ihm den Blick tief in die eigene Vergangenheit. Präziser: in die Kindheit. Und so finden sich auf "Rarely do I dream" immer wieder Tonspuren, die gleichermaßen unaufdringlich wie stimmig in das Gefüge eingebaut sind. Wie schon beim Opener des vorherigen Albums, dem wundervollen "Rabbit", gelingt es dem Sänger mit der besonderen Stimme, gleich zum Auftakt in "Neighborhood scene" diese spezielle Atmosphäre aufzubauen, die in seinem musikalischen Kosmos von seinen ersten Veröffentlichungen an vorherrschte. Eine Art schwelgerische Note gibt den Ton vor, eine Form der Filmmusik für das ureigene Kopfkino.
Großes Kino entsteht hier übrigens unter anderem auch durch den Umstand, dass sich der Musiker nicht stur an einem Songgerüst festklammert. "Speed freak" ist dafür ein frühes Beispiel, ein feines Zwischending aus Dreampop und Elektrobeat, das im Prinzip ganz schlicht daherkommt und bei dem man unweigerlich in einer Form der Zustimmungsgeste vor sich hin nickt. Youth Lagoon lädt mal zum Träumen ein wie im sanften "Football", das schon vorab die Vorfreude auf das Album zu steigern wusste. In puncto Textverständnis ist die Sache mal vergleichsweise klar, mal aber auch rätselhaft bis verschroben. Im starken "Gumshoe (Dracula from Arkansas)" beispielsweise heißt es: "Nobody talked like Jack / Dracula from Arkansas / He went a bit blood mad / Gumshoe raised his pistol and cross." Dann wieder, wie in "Seersucker", geht es um allzu irdische Sorgen: "Had no money / Half the time, Ma couldn't pay."
Weniger als jemals zuvor eignet sich die musikalische Kunst von Youth Lagoon zum bloßen Nebenherhören. Denn die Rezeption der etwas mehr als 40 intensiven Minuten auf "Rarely do I dream" könnte beim Konsum mit eingeschränkter Aufmerksamkeit Wesentliches vorbeirauschen lassen. Ja, Songs wie "Canary" könnten auf den ersten Blick respektive nach einem beiläufigen Zuhören mit nur einem Ohr eine Spur zu bieder daherkommen, doch bei eingehender Betrachtung verstecken sich auch in Kompositionen wie dieser kleine Ideen, die das Ganze höchst souverän vor der Abzweigung in Richtung Beliebigkeit bewahren. Und auch die eingestreuten Dialoge oder Gesprächsfragmente könnten im schlechtesten Fall irritieren, sind aber relevanter Bestandteil dieses Kunstwerks. Eines Kunstwerks, das die gebotene Muße erfordert. Wer zu dieser nicht bereit ist, sollte weiterhin einen Bogen um Youth Lagoon machen. Alle anderen dürfen tief eintauchen in eine überaus charakteristische Klangwelt, die inhaltlich zurückschaut und doch tief im Hier und Jetzt seines Schaffens verwurzelt ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Speed freak
- Gumshoe (Dracula from Arkansas)
- Lucy takes a picture
Tracklist
- Neighborhood scene
- Speed freak
- Football
- Gumshoe (Dracula from Arkansas)
- Seersucker
- Lucy takes a picture
- Perfect world
- My beautiful girl
- Canary
- Parking lot
- Saturday cowboy matinee
- Home movie (1989-1993)
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Hierkannmanparken
2025-03-04 14:22:06
"Großes Kino entsteht hier übrigens unter anderem auch durch den Umstand, dass sich der Musiker nicht stur an einem Songgerüst festklammert"
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wenn ich an die Songs von WBH denke mit ihren ausufernden Outros oder wenn ein völlig abgedrehter Instrumentalpart in den nächsten mündet. Ganz zu schweigen von Montana auf dem Erstling mit dem überlebensgroßen Aufbau. Das ging ab dem dritten Album mMn ein bisschen verloren.
Übrigens ein Kritikpunkt, den ich auf Palace Winter übertragen würde.
myx
2025-02-23 19:19:04
Für mich auch ein schönes Album, in dem man sich geborgen fühlt. Habe beim zweiten Hören auf Songs geachtet, die mir vielleicht nicht so gefallen, aber es gibt sie nicht. Sehr homogenes Werk mit konstanter Qualität. Zwei Lieblinge habe ich mit "Lucy takes a picture" und "Football" dennoch: Beide klingen besonders warm und sind schon zwei alte Bekannte.
Old Nobody
2025-02-22 19:31:06
Gelaber klingt jetzt im Nachhinein doch sehr abwertend,so sollte das natürlich nicht gemeint sein angesichts dessen, dass es Tonspuren aus der Kindheit sind. Ich schätze den künstlerischen Ansatz zwar aber habe meine Probleme damit. Trotzdem hat das Album an sich einen guten Flow.
Old Nobody
2025-02-22 19:16:48
Album gefällt mir an sich zunächst mal echt gut. Hab nur leichte Schwierigkeiten mit dem Gelaber zwischendurch.Ist nicht so, dass es weh tut aber es stört etwas die Atmo hier und da.Aber sind echt schöne Sounds bei
saihttam
2025-02-22 18:49:00
Hab das neue Baths-Album auch direkt nach dem hier angeschmissen. Das hat stimmungsmäßig sehr gut zueinander gepasst. Ersteindruck bei beiden positiv. Jetzt läuft der zweite Durchgang von Rarely Do I Dream. Ich finde es im Gegensatz zum Titel sehr traumhaft. Einzelne Songs schälen sich noch nicht richtig heraus, aber ich fühle mich beim zuhören einfach sehr wohl und aufgehoben.
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Referenzen
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